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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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wollten für die Opfer, die sie gebracht hatten, entschädigt werden und betrachteten alle anderen als Verräter. Doch die anderen hatten meist gar nicht frei entscheiden können. Wenn du in einem geteilten Land mit zwei gegensätzlichen Systemen lebst, kannst du dir ja nicht aussuchen, auf welcher Seite du geboren wirst. Man hat nicht immer die Wahl, wenn du verstehst, was ich meine.
    Da wurden gravierende Fehler gemacht.
    FOLCO: Nach dem Krieg lief in Vietnam also längst nicht alles gut.
    TIZIANO: Aber was in Kambodscha geschah, war noch viel schlimmer. Dort hatten die Roten Khmer die Macht ergriffen, solche wie die, die mich gefangen genommen hatten. Sie wollten eine ganz neue Gesellschaft errichten, eine Gesellschaft von Gleichen. Sie wollten einen neuen Menschen schaffen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den es immer wieder zu unterstreichen gilt, dessen Wahnsinn es zu verstehen gilt. Doch man muss sich auch klarmachen, was hinter diesem Horror stand.
    Pol Pot, dem Anführer der Roten Khmer, war bewusst geworden, dass das antike Kambodscha, das Kambodscha von Angkor Wat, das der großen Krieger und der einzigartigen Tempel, wirkliche Größe besessen hatte. Doch dann war das Volk der Khmer von den Thai geschlagen worden und in den Dschungel geflohen und hatte seine große Vergangenheit vergessen. Bis ein französischer Entomologe sie eines Tages wieder entdeckte: Er ging in den Dschungel, um Schmetterlinge zu jagen, und stand auf einmal vor dem wunderbaren Gesicht Jayavarmans VII., mit seinem in Stein gemeißelten Lächeln, das noch tiefer und geheimnisvoller ist als das der Mona Lisa. So entdeckten die Khmer ihre Vergangenheit.
    Pol Pot, ein glühender Nationalist, der in Paris den Marxismus entdeckt hatte, wusste, dass man das Proletariat nur an die Macht bringen kann, indem man das Bürgertum vernichtet. Doch es reichte ihm nicht, wie die französischen Intellektuellen in den Pariser Cafés zu sagen: „Ah, il faut détruire la bourgeoisie! “, nein, er wollte die Bourgeoisie wirklich vernichten!
    Dahinter steckte durchaus eine Logik. Pol Pot stellte fest, dass die Stadt die Perversion des Khmer-Bauern war. Warum stand dieser Bauer nicht in den tausendjährigen Reisfeldern und säte? Was hatte er in der Stadt zu suchen? Warum schob er seinen Karren zum Markt, um Waren zu tauschen, warum schmuggelte er sie nach Thailand? Das war doch kein echter Khmer! Denn der war im Laufe der Geschichte zu einem Waschlappen geworden, den hatten seine Feinde, die Thai, zum Schatten seiner selbst gemacht.
    Was tat Pol Pot also, als er an die Macht kam? Er schottete das Land ab, ließ niemanden mehr rein oder raus und fing an, die Städte auszuradieren. Er vernichtete sie einfach. Binnen vierundzwanzig Stunden ließ er Phnom Penh evakuieren, Folco! Alle Krankenhäuser leer! Die Familien schoben ihre Angehörigen, die noch am Tropf hingen, in den Betten auf Rollen vor sich her. Weg mit allen Städtern, weg! Weg mit Millionen von Menschen! Hunderttausende sind dabei umgekommen.
    Dieses Projekt ist an eine Weltanschauung gebunden, die auch Mao mit seiner Kulturrevolution verwirklichen wollte, nur ist Pol Pot in seinem Fanatismus noch weiter gegangen. Wir haben ja schon von jener damals sehr verbreiteten Auffassung gesprochen, man könne Gesellschaften mit Hilfe von Techniken konstruieren, indem man ähnlich wie in der Chemie Reaktionen erzeugte. Pol Pots Ziel war es, eine völlig neue Gesellschaft zu schaffen, einen völlig neuen Menschen, ohne Erinnerung, ohne Bezug zur antisozialistischen, unmenschlichen bürgerlichen Kultur der Vergangenheit.
    Alles, was aus den Städten kam, wollten die Roten Khmer ausmerzen. Du hast studiert? Weg mit dir! Du trägst eine Brille? Weg mit dir! Die Leute mussten sich in einer Reihe aufstellen und eine Kokospalme hinaufklettern. Wer es schaffte, galt als Landmensch; wer nicht, als Städter, als Postbeamter oder Händler, der für zehn kauft und für elf weiterverkauft. Und diese Leute wurden umgebracht, denn um die neue Gesellschaft zu errichten, mussten die Keime des Überkommenen restlos erstickt werden. Aus demselben Grund wurden die buddhistischen Bibliotheken zerstört und die Mönche umgebracht. Um den neuen Menschen zu schaffen, musste man den alten töten.
    FOLCO: Interessant.
    TIZIANO: Ein frevelhaftes und doch auch faszinierendes Projekt. Weißt du, manche sagen, alle Diktatoren sind verrückt, aber das stimmt nicht. Hitler war nicht verrückt, Mao war nicht verrückt und auch Pol

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