Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
schwärmen die Frauen vergnügt schwatzend mit ihren Weidenkörben aus, um den Dung der Tiere einzusammeln, die nachts draußen bleiben.
Der „Palast“des König ist ein uraltes, über und über bemaltes Holzhaus. In den ersten Stock, den er bewohnt, gelangt man über eine steile Leiter. Abends wird eine Klappe hochgezogen, dann ist der Palast geschlossen. Doch im ersten Stock halten zwei große Doggen Wache, die notfalls vom Bellen der Lhasa Apsos geweckt werden, den kleinen tibetischen Hunden, die selbst geringste Geräusche wahrnehmen.
Und dann die Plumpsklos! Im zweiten und dritten Stock des Palastes hockt man sich einfach über ein Loch im Fußboden, die Kacke fällt bis zum Erdgeschoss durch und wird von den Schweinen gefressen.
FOLCO: Und da hast du geschlafen?
TIZIANO: Ich bin vier, fünf Tage im Königspalast geblieben, dem einzigen Ort, an dem man wohnen kann. Man darf das Reich nur mit Erlaubnis des Königs betreten, und erhält man sie, ist man sein Gast, lebt und isst mit ihm. Er ist ein alter, hochintelligenter Mann mit einem schönen Türkis im Ohr und langen Ohrgehängen. Er trägt eine elegante Jacke und andere tibetische Kleidungsstücke, die seine ununterbrochen mit bunter Wolle hantierende Frau ihm in Handarbeit herstellt.
Wir betrachten eine Reihe von Fotos.
FOLCO: Schön, dieses Foto. Ist er das?
TIZIANO: Nein, das ist der Amji, der Leibarzt des Königs, der sich aber auch um alle anderen Einwohner kümmert. Sieh mal, dies ist sein Zimmer: der Tee, die Teppiche, die heiligen Schriften, die Petroleumlampe. Und hier, sein Gesicht, wie das Licht durch ihn hindurch scheint! Er lebt in einer ganz anderen Dimension. An solchen Orten ist der Arzt eine Mischung aus Mediziner und Magier.
Eine Idylle, diese Stadt - der Wind, die Sonne, der Himmel, alles von einer Klarheit, wie es sie sonst nirgends gibt, denn Umweltverschmutzung ist dort ein Fremdwort. Und doch - auf der Straße fiel mir auf, dass viele der Kinder an einem Trachom litten, einer Augenentzündung, die blind machen kann. Da stellst du dir dann folgende Frage: Ist es besser, sie behalten ihr Trachom und bleiben im „Tal aller Wünsche“? Oder soll man das Trachom behandeln und dafür die Folgen in Kauf nehmen, die das notwendigerweise nach sich ziehen würde? Du hast die nötigen Medikamente nicht dabei, könntest aber problemlos ein paar Ärzte dorthin schicken, um die Kinder zu behandeln. Und das könnte leicht der erste Schritt in die Modernisierung sein, die binnen weniger Jahre das Trachom besiegen, der Stadt aber garantiert auch ihren ersten Industriellen aus Hongkong bescheren würde. Dieser würde gleich vier oder fünf Nähmaschinen in einem der Häuser aufstellen und die fröhlichen Frauen, die jetzt auf den Feldern arbeiten oder am Fluss Wäsche waschen, verdingen, acht Stunden am Tag für ihn Turnschuhe und T-Shirts zu nähen. FOLCO: Stimmt. Der Brückenkopf der Moderne ist oft die Medizin.
TIZIANO: Eben. Die westliche Medizin hat enormen Erfolg gehabt. Erstens, weil sie so schnell wirkt. Hast du Kopfschmerzen? Schluck ein Aspirin und sie gehen vorbei. Und zweitens, weil sie so leicht wiederholbar ist. Wer Kopfschmerzen hat, kann selbst ein Aspirin nehmen und wird sie damit los. Die entscheidende Frage ist also: Kann man die Hygiene unter diesen Menschen verbessern und das Trachom heilen, ohne dass der Industrielle aus Hongkong kommt und eine Fabrik aufmacht? Diese Frage ist doch gerechtfertigt, oder?
FOLCO: Durchaus.
TIZIANO: Jemand, der so reist wie ich, kann nicht umhin, sich diesem Problem zu stellen, denn schon bald, ja eigentlich sofort wird dir klar, dass auch du den Prozess der Modernisierung mit anschieben hilfst.
FOLCO: Allein dadurch, dass du dort hinkommst?
TIZIANO: Indem du dich zeigst. Sie bestaunen deine Uhr, weil sie noch nie eine gesehen haben, und deine Schuhe, die so anders aussehen als ihre handgenähten aus Filz. Du trägst einen Anorak gegen die Kälte und eine Sonnenbrille gegen das UV-Licht auf der Hochebene. Wenn einer die Hand ausstreckt und etwas davon haben möchte, was machst du dann? Gibst du es ihm oder nicht?
Was mich regelrecht verstörte, war eine Gruppe kleiner Mädchen, die mit einer Puppe spielten, aber nicht mit einer selbstgemachten Stoffpuppe, sondern mit einer rosahäutigen Plastikpuppe aus dem Westen. Offenbar hatten irgendwelche Touristen - ich war schließlich nicht der Einzige, jedes Jahr erlaubte der König einer Reihe von Leuten die Einreise, auch aus finanziellen
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