Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
haben wir uns immer Zeit genommen. Zeit für die Zeit.
Das hatte nichts, aber auch gar nichts mit den absurden Kriterien zu tun, nach denen manche Männer sich ihre Ehefrauen aussuchen …
Stell dir vor, als ich bei Olivetti arbeitete, beschloss einer der Manager dort, übrigens ein äußerst fähiger Mann, zu heiraten. Wie er überall herumerzählte, hatte er eine lange Liste mit all den Eigenschaften angelegt, auf die er Wert legte: seine Zukünftige sollte einen hübschen Po haben, reichlich Geld und gute Umgangsformen, sie sollte Sprachen können und so weiter. Dann hatte er alle Frauen, die er kannte, aufgelistet und ihnen für jede Eigenschaft, die sie besaßen, einen Punkt zugeordnet. Und die mit den meisten Punkten hat er dann geheiratet! FOLCO: Bist du erschöpft?
TIZIANO: Ein bisschen. Aber eines muss ich noch sagen, ich kann es nur immer wiederholen: In meinem Leben hat es drei Dinge gegeben, ohne die ich nicht derjenige wäre, der ich bin. Eines ist dieses Haus in Orsigna, das merke ich jetzt, da ich gekommen bin, um hier zu sterben. Ein anderes ist der SPIEGEL, der mir Arbeit und Freiheit gegeben hat. Und dann deine Mutter. Sie war mein Maßstab und mein Richter, auf ihr geradliniges, moralisches Urteil habe ich immer viel gegeben.
FOLCO: Und woran erkennt man so jemanden?
TIZIANO: Da gibt es nichts zu überlegen. Du spürst einfach, es gibt keine Alternative.
MACHT
TIZIANO: Ich bin neugierig auf das, was kommt, Folco. Oder nein, neugierig eigentlich doch nicht, eher gelassen. Denn ich erwarte nichts mehr. Nichts.
FOLCO: Endlich kannst du dich ausruhen. Und stehst nicht mehr unter Druck.
TIZIANO: Stimmt, immer hat eine gewisse Verantwortung auf mir gelastet. Dieses Pflichtbewusstsein, dieses Gefühl, bestimmte Dinge tun und andere lassen zu müssen. Martin sagte kürzlich, ich sei stets ein Mann mit moralischen Grundsätzen gewesen. Was stimmt, ist, dass ich mich nie zu Kompromissen hergegeben habe. Vielleicht hatte ich das nicht nötig, ich hatte sogar eine regelrechte Abneigung dagegen, und wenn man das Moral nennen will, dann hat er recht. Ich habe meinen Beruf wie eine Art religiöser Sendung empfunden und bin den Versuchungen des Metiers aus dem Weg gegangen. Auch der verlockendsten: der Macht. Darüber wollte ich schon länger mit dir reden.
Der Kontakt mit der Macht ist in meinem Beruf unerlässlich. Mit jeder Art von Macht: mit der mörderischen, mit der gerechten, mit der politischen - kurz, mit der Macht an sich. Denn sie bestimmt den Gang der Welt, und willst du den beschreiben, musst du zur Macht gehen und sie fragen, wie die Dinge stehen.
Ich habe mich stets von der Macht ferngehalten. Nicht auf den Rat anderer hin oder weil ich eines Morgens ein dementsprechendes Gelübde abgelegt hätte. Vielleicht bin ich einfach im Grunde meines Wesens Anarchist: Diese aufgeblasenen Popanze, die dir ihre Wahrheit zu verkaufen suchen, seien es nun Staatspräsidenten, Minister oder Generäle, waren mir immer zuwider. Und so habe ich instinktiv immer die Distanz gesucht. Heute dagegen fällt mir auf, dass viele junge Leute in der Nähe der Macht geradezu aufblühen. Sie genießen es, sie zu duzen, mit ihr essen oder ins Bett zu gehen, und hoffen dabei auf etwas Ruhm, Glanz oder auch einfach auf Informationen. Das habe ich nie getan. Und vielleicht kann man das tatsächlich als eine Form von Moral bezeichnen.
Er senkt die Stimme.
Denn Macht besticht. Erst zieht sie dich in ihren Bann, dann verschluckt sie dich mit Haut und Haaren. Setzt du dich im Wahlkampf neben den Präsidentschaftskandidaten, gehst du mit ihm essen und unterhältst dich mit ihm, gehörst du sofort in sein Lager und wirst zu seinem Handlanger, das ist doch klar, oder?
Das habe ich nie gemocht. Ich habe immer einen gewissen Stolz verspürt, der Macht gegenüberzustehen, ihr ins Gesicht zu sehen, sie zu taxieren und dann zum Teufel zu jagen. Ich öffnete die Tür zur Macht, stellte den Fuß hinein, und wenn ich dann drin war, versuchte ich nicht zu gefallen, sondern spürte auf, was nicht in Ordnung war und stellte Fragen. Ich gehörte zu den Journalisten, die bei Pressekonferenzen die unbequemsten Fragen stellten. Heute tut das keiner mehr. Als Condoleezza Rice kürzlich verkündete, die Vereinten Nationen seien eine äußerst nützliche Organisation, ist niemand aufgesprungen und hat gerufen: „Moment mal, vor zwei Jahren, und zwar genau am 14. Mai, haben Sie um 17.40 auf CBS gesagt: ‚Die Vereinten Nationen haben
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