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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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Einrichtung zum stationären Entzug verlegt werden sollte. Sie dachtean die Betty-Ford-Klinik in Kalifornien, aber dort war kein Platz frei. Sie fand einen Platz im Clear Spring Hospital in einem Vorort von New York, und widerstrebend ließ ich mich dorthin überweisen. Ich fühlte mich gedrängt, aber vor allem war ich bitter enttäuscht von mir selber, dass ich nur Tage nach meinem spirituellen Erweckungserlebnis wieder getrunken hatte.
    Gleichzeitig hoffte ich, dass die Entzugsklinik die Lösung sein würde, die ich brauchte. Manche Leute bei den AA sagten, es könne helfen, manche sagten das Gegenteil.
    Joan fuhr mich nach Clear Spring. Ich hatte nichts dabei, nur die Kleider, die ich am Leib trug, und war in einem Zustand tiefster Depression. Meine Kreditkarten befanden sich in meiner Brieftasche in der Wohnung in New York, und die Klinik verlangte eine Kaution von 5000 Dollar, bevor ich überhaupt aufgenommen wurde. Joan beglich die Kaution großzügig mit ihrer Kreditkarte, in dem Vertrauen, dass ich ihr die Summe gleich nach meiner Entlassung zurückzahlen würde, was ich auch tat.
    Clear Spring ist das Ritz unter den Entzugskliniken, eine wunderschöne Anlage mit dem Komfort eines Fünf-Sterne-Luxushotels. Wohlhabende Patienten aus der Metropolregion New York und aus dem ganzen Land kamen dorthin, und wie ich erfuhr, hielten sich auch damals etliche Prominente und Reiche dort auf.
    Wir alle sind mittlerweile an die Bilder gewöhnt, die zeigen, wie Promis unter dem Blitzlichtgewitter von Paparazzi-Fotografen durch die Drehtür einer Entzugsklinik gehen. Nach meinen Erfahrungen mit mehreren längeren Aufenthalten in Entzugskliniken meine ich, dass das nicht damit zusammenhängt, dass Promis besonders willensschwach sind oder besonders an einem Mangel an Spiritualität oder positiver Einstellung leiden. Die Wahrheit ist, dass kein Abhängiger/ keine Abhängige so viel Zeit zum Entzug bekommt, wie er oder sie braucht, sondern nur so viel, wie er oder sie sich leisten kann. Aber vielleicht greife ich damit der Geschichte zu sehr vor.
    Die ersten beiden Tage in Clear Spring wurde ich weiter entgiftet,und dann hatte ich einen Termin bei Dr. R. zum Aufnahmegespräch und zur Anamnese. Zu meiner Überraschung gehörte eine gründliche Schilderung meiner medizinischen Vorgeschichte und meines Trinkverhaltens nicht zu dem Gespräch, in zehn Minuten war alles vorüber. Dr. R. verschrieb mir Luvox (Fluvoxamin), einen SSRI, und Naltrexon, ein Mittel gegen das Verlangen nach Alkohol wie Acamprosat. Er sagte: »Luvox hilft bei Zwangsstörungen wie Alkoholsucht, und mit dem Naltrexon bekommen Sie Ihr Craving in den Griff.« (Ich nahm beide Medikamente noch eine Weile weiter ein, nachdem ich Clear Spring verlassen hatte, aber sie änderten mein Trinkverhalten nicht.)
    Ein paar Tage nach unserem ersten Gespräch kam Dr. R. kurz noch einmal zu mir und erkundigte sich, wie ich mich mit den Medikamenten fühlte. Während meines dreiwöchigen Aufenthalts in Clear Spring waren das meine beiden einzigen Kontakte mit einem Arzt. Aber ich dachte, ich sei endlich in den Händen von Experten und könne den Dingen ihren Lauf lassen. Und der Aufenthalt war erholsam und stärkend. Da es keine bewährte Therapie gibt, liegt der Hauptnutzen einer Entzugsklinik darin, dass sie dem Süchtigen die dringend nötige Pause vom Alkohol oder einer anderen Substanz oder Verhaltensweise bringt.
    Für Alkoholiker begann die tägliche Routine in Clear Spring damit, dass reihum aus Living sober (Nüchtern leben) und anderen von den AA gutgeheißenen Büchern vorgelesen wurde. Danach fanden Kurse zu Bewältigungsstrategien statt, etwa wie man einen Drink ablehnt, es gab AA-Meetings und ziemlich viel freie Zeit, in der ich spazieren ging, mit Mitpatienten sprach und auf dem wunderschönen Klavier spielte, das sie dort hatten. Von meinem Klavierspiel fühlte sich unter anderem ein Klarinettist von einem der bedeutendsten Symphonieorchester des Landes angezogen, ein sehr netter Typ, der wegen Depressionen in der Klinik war. Wir führten viele gute Gespräche, aber ich hatte immer die Vorstellung im Hinterkopf, dass ich in seinen Augen ein schwerer Trinker war, während man bei ihm eine respektable Krankheit diagnostiziert hatte.
    Im Hinblick darauf sagte ich zu Dr. R. und allen anderen in Clear Spring, was ich schon zu allen gesagt hatte, die sich um mich kümmerten: »Mein Grundproblem ist nicht der Alkohol, sondern die Angst. Wenn ich die Angst loswerde,

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