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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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Tabletten zu schicken. Bei Alkoholentzug werden erregungssteigernde Neurotransmitter freigesetzt, vor allem Glutamat, und auf Acamprosat setzte man große Hoffnungen, weil es die Glutamatrezeptoren im Gehirn blockiert. Ich schluckte Acamprosat entsprechend den Herstellerangaben und registrierte keinerlei Einfluss auf meine Symptome.
    Es stellte sich heraus, dass meine Erfahrungen mit Acamprosat genau wie mit Antabus nicht ungewöhnlich waren. Später, in der Entzugsklinik, lernte ich zu sagen: »Ich bin ein guter Mensch mit einer schlechten Krankheit«, aber damals, im August 1997 in meinem New Yorker Krankenhausbett, verwirrte mich das Scheitern der Behandlungsversuche, und ich war geneigt, es mir anzulasten. John Schaefer baute mich zwar ein wenig auf, weil er darauf beharrte, Alkoholismus sei eine Krankheit und kein Charakterfehler, aber ganz konnte ich dasGefühl der Scham nicht abschütteln. Und es war erschreckend, von John und von Elizabeth Khuri zu hören, dass es kein bewährtes Behandlungsprotokoll für Alkoholsucht gab. Weder Medikamente noch ein 12-Schritte-Programm, noch eine Suchtklinik boten eine endgültige Lösung, allein ebenso wenig wie in Kombination. Es schien einfach kein Ausweg zu existieren.
    Immerhin wusste ich, dass ich in den besten Händen war. Ich hatte absolutes Vertrauen in Liz Khuris Expertenwissen als international renommierte Forscherin an der Rockefeller University, und ihr warmherziges Mitgefühl war mir in schwierigen Zeiten eine besondere Hilfe.
    »Ich bin ein guter Mensch mit einer schlechten Krankheit.« Genau nach diesem Satz handelten Liz und John mir gegenüber. Sie begrüßten mich immer mit einem Lächeln und schauten mir beim Sprechen in die Augen. Leider verhielten sich die meisten anderen Ärzte, mit denen ich während der 13 Tage im Krankenhaus Kontakt hatte, nicht so, auch die nicht, die ich kannte und zu denen ich ein gutes Verhältnis hatte. Ich versuchte, mit ihnen zu sprechen – über mein Trinken und über andere Themen –, aber sie wichen mir aus. Auf jeden Fall schauten sie mir nicht in die Augen, was sie getan hätten, wenn meine medizinischen Probleme von einer anderen Krankheit hergerührt hätten. Es war verblüffend, wie unnatürlich sie sich benahmen. Auch von meinen engen Kollegen kam mich niemand besuchen, obwohl wir Kollegen, die aus anderen als Suchtgründen im Krankenhaus lagen, immer besuchten. Ich zweifle nicht, dass einige sich so verhielten, weil sie meinten, sie würden mir damit eine peinliche Situation ersparen, aber wenn es so war, bewirkten sie bei mir genau das Gegenteil: Ich schämte mich, dass den Ärzten meine Suchterkrankung so peinlich war, dass sie mich nicht wie ein normales menschliches Wesen behandelten.
    Wissenschaftler haben herausgefunden, dass für alle menschlichen Kulturen und auch für manche Tiere der Satz gilt: Meiden heißt beschämen. Diese Erkenntnis sollte die Art des Umgangs vonÄrzten mit Patienten, die an einer Suchterkrankung leiden, schon längst verändert haben. Aber das ist nicht der Fall.
    Wir leben in einer Welt, in der scheinbar alles repariert werden kann – von Experten, mit Geld oder einer Kombination von beidem. Und wenn die »Experten« ein Problem nicht lösen können, nun, dann existiert entweder das Problem nicht wirklich, oder derjenige, der das Problem hat, muss selbst damit fertig werden. Wir sehen uns gern als starke Wesen, die alle Herausforderungen des Lebens bewältigen können. Wir schmeicheln uns mit der Vorstellung, mit Willenskraft lasse sich jedes Hindernis überwinden.
    Aus ebendiesem Grund sprach mich Rational Recovery an. Die Idee, dass ich mich durch Denken und Wollen von der Abhängigkeit befreien könnte, war außerordentlich anziehend. Als ich später, auf dem Weg der Besserung, über meine Vergangenheit nachdachte, erkannte ich, dass ich im Laufe meines Lebens einiges an Willenskraft bewiesen hatte: beim frühen Ablegen des baccalauréat, beim Vorspiel für Arthur Rubinstein, und indem ich ein guter Kardiologe geworden war.
    Doch gleichzeitig hatte ich bei den AA-Meetings gesehen, dass es Alkoholikern nicht an Willenskraft mangelte; manche funktionierten auf hohen Positionen in anspruchsvollen Berufen und unter anderen schwierigen Umständen. (Ganz zu schweigen von der Willenskraft, die alle Süchtigen aufbieten, um an den Stoff zu kommen, mit dem es ihnen besser geht.) Die Anonymen Alkoholiker und die Narcotics Anonymous (die Anonymen Drogensüchtigen) sagen immer wieder, dass

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