Das Ende meiner Sucht
des Erreichten erstellen, weil das die Leute eingebildet macht. Aber Sie sind zu bescheiden. Außerdem hätten wir gern, dass Sie in den Gruppensitzungen mehr von sich erzählen.«
Ich brauchte drei Wochen, bis ich mich in den Gruppensitzungen ein bisschen mehr öffnen konnte. Aber in der ganzen Zeit meinerAlkoholkrankheit brachte ich es nicht über mich, eine Liste meiner Leistungen zu erstellen. Ich konnte nicht glauben, dass etwas von dem, was ich getan hatte, wirklich die Bezeichnung Leistung verdiente.
In der Zeit in Marworth erfuhr ich, dass ich meine Wohnung in der 63. Straße würde räumen müssen, in der ich seit zehn Jahren lebte. Das Gebäude gehörte dem New York Hospital, und sie wollten die Wohnung an jemand anderen vermieten. Ich sagte, ich sei krank und könne kurzfristig nicht umziehen. Die Antwort lautete, ich müsse die Wohnung bis Anfang September räumen.
Ich sagte den Leute in Marworth, ich müsse die Klinik für ein paar Tage verlassen und mich um dieses Problem kümmern, dann würde ich zurückkehren. Sie entgegneten: »Wir denken, Sie sind noch nicht so weit.«
»Wenn ich nicht ausziehe, bekomme ich erhebliche juristische Schwierigkeiten.«
»Wenn Sie jetzt gehen, bekommen Sie auf jeden Fall Schwierigkeiten. Denn Sie werden trinken und daran sterben.«
»Wann werde ich so weit sein, dass ich gehen kann? Wird es sechs Monate dauern oder ein Jahr?«
»Es dauert so lang, wie es dauert. Wir sagen es Ihnen, wenn wir denken, dass Sie gehen können.«
Einer der Mitarbeiter, ein alter Ire, trockener Alkoholiker seit vielen Jahren, sagte zu mir: »Alles wird sich lösen.«
Meine erste Reaktion darauf war: »Träum weiter.« Schließlich sagte ich mir: »Olivier, es liegt nicht in deiner Hand. Es spielt keine Rolle, ob du dir Sorgen machst.« Ich schaffte es immerhin, mir nicht dauernd Sorgen zu machen, und tatsächlich löste sich das Problem: Marworth schickte ein Attest an das New York Hospital, das mir zwei Wochen Aufschub brachte. Und ich fragte Joan, die eine große Wohnung hatte: »Glaubst du, ich könnte eine Weile bei dir wohnen?«
»Nur mit einem Ring.«
»Machst du Witze? Du willst mich unter diesen Umständenheiraten? Ich bin in einer Entzugsklinik und werde jetzt niemanden heiraten.«
Joan meinte es nur halb scherzhaft. Sie hatte eine Menge mit mir ertragen. Aber bevor ich in Lenox Hill auf die psychiatrische Station kam, hatten wir darüber gesprochen, dass es für unsere Beziehung keine Zukunft gab – für das Gespräch hatte ich mir mit ein paar Gläsern Mut antrinken müssen. Über einen Verwandten besorgte sie mir eine Wohnung an der Upper West Side zur Untermiete.
Ein Jahr nachdem ich inoffiziell meine Praxis geschlossen hatte, zahlte ich immer noch Miete und Arbeitgeberabgaben, dazu die Leasingraten für ein EKG-Gerät von Hewlett-Packard und eine sehr teure Haftpflichtversicherung. Das kam zu meinen normalen Lebenshaltungskosten hinzu und den Kosten für die Entzugsklinik, die über meine Kreditkarte liefen.
So viel Geld für eine Praxis auszugeben, die ich nicht mehr betrieb, war unsinnig, aber so rettete ich wenigstens einen Teil meiner Identität als Arzt. Die wollte ich nicht verlieren. Damals wusste ich noch nicht, dass ich Arzt bleiben würde, selbst wenn die letzte greifbare Verbindung zur medizinischen Tätigkeit gekappt sein würde.
Eine Verwaltungsangestellte in Marworth überprüfte meine Versicherungssituation und teilte mir mit, meine reguläre Krankenversicherung zahle zwar nicht mehr für eine Entzugsklinik, aber meine Berufsunfähigkeitsversicherung würde vielleicht zahlen. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass Abhängigkeit die Kriterien der Berufsunfähigkeitsversicherung erfüllen könnte, aber ich erinnerte mich noch an die Hartnäckigkeit des Versicherungsvertreters, als ich meine Praxis eröffnet hatte. Damals musste ich mich zum ersten Mal privat um meine Krankenversicherung kümmern, zuvor hatte ich den Schutz des französischen Gesundheitswesens genossen und war am Cornell University Medical College als Angestellter versichert gewesen.
Ich schloss eine umfassende Krankenversicherung ab, sagte dem Versicherungsvertreter aber zugleich: »EineBerufsunfähigkeitsversicherung brauche ich nicht. Ich habe keinerlei gesundheitliche Probleme.«
Er gab sich mit meiner Antwort nicht zufrieden und tauchte immer wieder in meiner Praxis auf. »Sie sind zwar Kardiologe, Doktor, aber auch Sie können einen Herzinfarkt bekommen. Oder Krebs. Oder morgen
Weitere Kostenlose Bücher