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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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psychiatrische Station oder in eine Entzugsklinik gebracht hatte.
    Barre schloss mit den Worten, nun würde ich »weitermachen mit neuen medizinischen Forschungen«.
    Ich wandte mich zu meiner Mutter um und höhnte: »Forschungen nach der nächsten Flasche.«
    »Hör auf!«, herrschte sie mich an.
    Auf dem Video winkte mich Raymond Barre herbei und heftetemir ein Kreuz der Ehrenlegion aus Präsident Chiracs persönlichem Bestand ans Revers mit den Worten: »Im Namen des Präsidenten der Republik und kraft der mir verliehenen Macht ernenne ich Sie zum Chevalier der Ehrenlegion.«
    Er küsste mich auf beide Wangen, die Gäste applaudierten, und meine Mutter applaudierte mit. Auf dem Video rief einer der Gäste: »Und jetzt du, Olivier.«
    Raymond Barre sagte freundlich: »Eine Erwiderung ist nicht nötig.«
    Ich hatte nichts vorbereitet, schaffte es aber zu lächeln und zu sagen, dass ich mir ganz und gar nicht sicher sei, die Auszeichnung wirklich verdient zu haben. Ich dankte den Gästen im eigenen Namen und im Namen meiner Familie für ihr Kommen, und im Hinblick auf die vielen Fragen, die mir an dem Abend schon gestellt worden waren, erklärte ich, meine Geschwister seien wegen der Erkrankung meiner Mutter nicht anwesend. Ich konnte meiner Mutter am Gesicht ablesen, dass ihr diese Worte gefielen.
    Das Video ging weiter mit einer kurzen Montage, die die Gäste beim Aufbruch zeigte. Da stand ich mit Jean Bernard, fragte ihn, wie er an dem kalten Abend nach Hause kommen wolle, und hörte ihn sagen: »Ich gehe natürlich zu Fuß. Es sind nur ein paar Schritte.« Und da drückte Jean Dausset sein Bedauern aus, dass kein Klavier in der Nähe sei, damit ich wenigstens eines meiner Stücke spielen könnte. Und Raymond Barre lud mich ein: »Kommen Sie mich in Lyon besuchen, dann können wir mehr Zeit miteinander verbringen. Noch einmal Glückwunsch, mein lieber Freund, und gute Nacht.«
    Eine weitere Außenaufnahme zeigte das Hotel in vollem Lichterglanz, dazu erklang der Song »Your Heart’s Desire« (Dein Herzenswunsch), arrangiert von Arif Mardin, den ich nach dem Aufenthalt in Marworth komponiert hatte. Ich war sehr bewegt bei dem Gedanken, wie viel Kosten und Mühe Arif investiert hatte, eine Demoversion des Songs zu arrangieren und zu produzieren, und spürte schmerzlich den Verlust meiner Karriere und die Trennung vonmeinen Freunden in New York. Dann war das Band zu Ende, und der Bildschirm wurde schwarz.
    Im März wurde meine Mutter neunundsiebzig. »Du hast mir ein wunderbares vorzeitiges Geburtstagsgeschenk gemacht, Olivier«, rief sie aus. Ich wünschte, ich hätte ihr das Geschenk geben können, das sie wirklich haben wollte.
    Am Abend der Verleihungszeremonie hatte ich es geschafft, nichts zu trinken, obwohl den Gästen Champagner gereicht wurde. Am nächsten Abend griff ich wieder zur Schnapsflasche. Nun fühlte ich wieder das Verlangen nach Alkohol in mir aufsteigen wie jeden Nachmittag und Abend, eine Flutwelle wachsender körperlicher Spannung, von Angst und Sorge. Kurz zuvor war ich wieder in meine alte Wohnung gezogen. Ich sagte meiner Mutter, ich müsse gehen, und holte meinen Mantel aus dem Schrank.
    »Kann ich das Video behalten?«, fragte sie.
    »Natürlich. Ich habe es für dich mitgebracht.« Ich hatte kein Interesse, es mir noch einmal anzuschauen. Mir kam es vor, als hätte ich mich selbst als Schauspieler in einem Film gesehen. Der Mann in dem Video war keine reale Person. Er war die Maske, die ich der Welt zeigte, um dahinter meine Unzulänglichkeiten zu verstecken. Wenn Leute wie Raymond Barre wirklich etwas anderes dachten, waren sie naiv oder ließen sich täuschen.
    Mein Absturz begann.
    In den ersten Monaten des Jahres 2000 musste meine Mutter zweioder dreimal ins Krankenhaus. Bei einem dieser Aufenthalte fuhr ich mit Danielle zur Wohnung meiner Mutter, um etwas zu holen, das sie vergessen hatte. Ich war betrunken, stolperte und fiel rücklings in eine Glasvitrine mit einer Vase aus Muranoglas, die meine Eltern gekauft hatten, als ich noch klein war. Meine Mutter liebte diese Vase, in der sie immer ihre Blumen arrangierte.
    Ich schrie: »Die Vase, die Vase!«
    Danielle schrie: »Dein Rücken!«
    Die Vase blieb heil. Mein Rücken sah schlimm aus, lauter Glasscherben und Schnitte und Blut. In der Notaufnahme zogen sie die Scherben heraus und flickten mich wieder zusammen. Nach ein paar Tagen entzündeten sich die Wunden, und ich musste erneut ins Krankenhaus.
    Im April stürzte ich und brach

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