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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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hinter mir her und holte mich zurück, und der Psychiater verabreichte mir ein Beruhigungsmittel. Ein paar Stunden später erwachte ich in einem Pariser Krankenhaus, wo ich einen Teil meiner praktischen Ausbildung absolviert hatte.
    Ich sagte, ich wolle wieder nach Hause. »Das geht nicht«, erklärteman mir. »Das ist die psychiatrische Station, und Sie sind hier als HDT.«
    »Wovon reden Sie?« HDT war die Abkürzung für hospitalisation à la demande d’un tiers, Einweisung auf Antrag eines Dritten. Eine solche Maßnahme verlangt die Unterschriften eines Angehörigen und zweier Ärzte und bedeutet, dass die betroffene Person als Gefahr für sich selbst oder andere betrachtet wird. Nicht einmal ein Jahr nachdem ich dank meiner Freunde zwangsweise in einer psychiatrischen Station in New York gelandet war, passierte mir in Paris dank meiner Familie das Gleiche. Das stürzte mich in tiefe Verzweiflung und zerstörte jegliches Vertrauen zwischen mir und meiner Familie.
    Nach zwei Tagen durfte ich nicht gehen, aber wenigstens telefonieren. Wenn sie genau den HDT-Vorschriften folgten, würde ich eine ganze Weile auf dieser Station bleiben müssen. Neben dem unwürdigen Umstand, dass ich hier gegen meinen Willen eingesperrt war, würde mich das auch viel Geld kosten, denn ich war noch nicht lange genug zurück in Frankreich, dass die allgemeine Krankenversicherung wieder für mich aufkam.
    Ich rief meine Mutter an, und sie besuchte mich mit meinen Geschwistern. Wir hatten einen Termin bei einer Psychiaterin, der stellvertretenden Leiterin der psychiatrischen Abteilung in diesem Krankenhaus.
    »Schauen Sie nur, was aus Ihnen geworden ist«, sagte sie zu mir.
    »Was meinen Sie?«
    »Sie verdienen nicht einmal Ihren Lebensunterhalt.«
    »Mag sein. Aber mein Einkommen in den USA war vermutlich deutlich höher als Ihres hier im Krankenhaus, und ich kann jederzeit zurückgehen.«
    »Das stimmt«, warf meine Mutter ein, bevor die Psychiaterin antworten konnte. Meine Mutter kritisierte mich zwar, wenn wir unter uns waren, aber sie würde mich bis zum letzten Atemzug gegen den Rest der Welt verteidigen.
    Die Unterredung mit der Psychiaterin brachte nichts. Sie sagte, ich sei nach strikten rechtlichen Vorschriften eingewiesen worden, die Dinge müssten ihren Gang nehmen, und meine Familie willigte ein.
    Meine Mutter und meine Geschwister fuhren heim, und wie es aussah, saß ich in der Psychiatrie fest. Kurz darauf gab es einen kleinen Aufruhr auf der Station, weil ein Beamter des Justizministeriums seinen halbjährlichen Besuch abstattete, um sich die Sorgen der Patienten anzuhören. Zuerst dachte ist: Was nützt es?, und dann: Was habe ich zu verlieren?
    Etliche Patienten warteten schon. Als ich an die Reihe kam, sah ich, dass der Beamte eine Beamtin in den Fünfzigern war, die streng, aber vertrauenerweckend wirkte. Ich sagte zu ihr: »Die Situation ist absurd. Ich bin erklärtermaßen Alkoholiker, das bestreite ich gar nicht. Ich war schon in den besten Einrichtungen der Welt zur Behandlung. Und als Arzt kann ich Ihnen versichern, dass ich an dem Tag meiner Entlassung hier wieder trinken werde. Das liegt in der Natur der Krankheit. Sie können mich hier ein halbes Jahr festhalten, aber wem nützt das?«
    »Sie sind nur in der psychiatrischen Station eingesperrt, weil Sie Alkoholiker sind?«
    »Ja.«
    »Das ist kafkaesk«, sagte sie.
    »Das denke ich auch.«
    »Ich werde dafür sorgen, dass man Sie entlässt. Morgen früh können Sie gehen, wohin Sie wollen.«
    »Und was, wenn sie es vergessen oder mich nicht gehen lassen?«
    »Entweder gehen Sie morgen, oder der Leiter der Abteilung geht.«
    Der Albtraum, ich wäre auf Dauer irgendwo eingesperrt, verfolgte mich für den Rest meines Alkoholikerdaseins.
    Am letzten Abend vor meiner Entlassung, während ich nervös wartete, lernte ich eine wunderschöne 23-jährige Patientin kennen. Siehatte blonde Haare und blaue Augen, ihre Diagnose lautete Depression und Essstörungen. Wir unterhielten uns stundenlang und verabschiedeten uns mit einem Gutenachtkuss.
    Am nächsten Morgen, als meine Mutter und meine Geschwister mich abholen wollten, begleitete mich die schöne junge Frau zur Tür, und wir küssten uns wieder. Meine Mutter fragte, wer sie sei und weshalb sie in der Psychiatrie sei.
    »Sie ist sehr attraktiv«, meinte sie, nachdem ich ihr alles erklärt hatte. »Aber musstest du dir ausgerechnet jemanden mit einer Depression aussuchen?«
    »Ich suche mir die Leute aus, mit denen

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