Das Ende meiner Sucht
mir das linke Handgelenk. Ich war alkoholisiert beim Rollerbladen gewesen – mein zweiter oder dritter Versuch in dieser Sportart. Eigentlich hätte das Handgelenk sofort chirurgisch versorgt werden müssen, aber ich wartete, bis ich ausgenüchtert war und Danielle mir sagte, dass mein Atem nicht mehr nach Alkohol roch. Ich wollte sicher sein, dass sie mich im Krankenhaus wie einen normalen Patienten behandelten. Mir war seit Langem klar, dass Alkoholiker und andere Abhängige nicht mit dem üblichen Maß an Mitgefühl und Fürsorge rechnen können, wenn sie medizinische Hilfe brauchen.
Nach dem Unfall mit dem Handgelenk fürchtete ich, ich würde nie wieder richtig Klavier spielen können. Meine Mutter war genauso verzweifelt; das Klavierspiel war das Einzige, das unter meinem Trinken nicht gelitten hatte. Ich dachte: Das Klavier ist alles, was mir geblieben ist. Und nun nimmt Gott mir das auch noch weg.
In der Hoffnung, so viel Beweglichkeit und Kraft wie möglich in meinem Handgelenk zurückzugewinnen, suchte ich Frankreichs renommiertesten Handchirurgen auf, Professor J.-P. Lemerle. Er eröffnete mir, dass nach Brüchen wie dem meinen die Patienten nicht die volle Bewegungsfähigkeit wiedererlangten. Trotzdem unterwarf ich mich einem strengen Übungsprogramm mit einem Physiotherapeuten aus Professor Lemerles Team. Ich arbeitete wie besessen und blendete dabei die Schmerzen aus. Wiederum aus Angst, nicht wie ein normaler Patient behandelt zu werden, erzählte ich weder Professor Lemerle noch dem Physiotherapeuten, dass ich Alkoholiker war. Deshalb musste ich absurde Ausreden erfinden, wenn ich Termine absagen musste, weil ich betrunken war. Aber ich versäumte nur wenige Termine, und nach zwei Monaten intensiver Bemühungen erklärteder Physiotherapeut, meine Hand sei wieder vollkommen in Ordnung.
Doch meine Freude und die meiner Mutter währten nicht lange. Zwei Tage später wachte ich morgens mit einem Kater auf, stolperte ins Bad, stürzte und schlug schwer auf meiner linken Schulter auf. Im ersten Augenblick fühlte ich dank der betäubenden Wirkung des Restalkohols in meinem Blut keinen Schmerz. Ein paar Stunden später betrachtete ich meine Schulter im Spiegel und sah eine hässliche Schwellung, die sich weit ausgebreitet hatte, aber immer noch dachte ich, dies wäre das ganze Ausmaß der Verletzung.
Im Verlauf des Morgens schmerzte die Schulter immer stärker, und ich mutmaßte, sie sei gebrochen. Aber ich wollte nicht in die Notaufnahme gehen, solange ich noch nach Alkohol roch. Also wartete ich ab, wusch mich dann mühsam und kleidete mich an. Das rote Band der Ehrenlegion am Revers würde, so hoffte ich, Ärzte und Krankenschwestern davon abhalten, mich wie einen Alkoholiker aus der Gosse zu behandeln.
Die Pflegekräfte in der Notaufnahme des Hôpital Cochin, wo ich als Medizinstudent gewesen war, teilten mir mit, ich hätte einen komplizierten Bruch und würde die volle Beweglichkeit meiner Schulter nicht wiedererlangen. Beim Klavierspielen sind Muskelgruppen im ganzen Körper beteiligt, und offenbar hatte ich die Beweglichkeit meines Handgelenks nur mühsam zurückgewonnen, um mir eine genauso problematische Verletzung an der Schulter zuzuziehen. Ich beschloss, wieder alles zu versuchen, um eine bestmögliche Wiederherstellung zu erreichen.
Ich ging zu Professor Michel Revel, dem Leiter der Abteilung für funktionelle Rheumatologie im Hôpital Cochin. Er hatte große Zweifel, dass mein Arm wieder voll beweglich werden könnte, empfahl mir aber trotzdem ein unübliches Therapieprogramm mit Übungen im Wasser. Der Auftrieb sollte meine Schulter entlasten und ermöglichen, dass sie viel besser bewegt werden konnte als bei normaler Krankengymnastik. Es war meine größte Chance, und ich ergriff sie.
Wieder schaffte ich es, die meisten Therapietermine einzuhalten, und wieder erreichte ich entgegen den Erwartungen eine volle Genesung. Meine Mutter konnte sich nicht mit mir an diesem Sieg freuen. Sie starb am 22. Juli 2000.
Es war beinahe unerträglich für mich, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass ich mich nicht vom Alkoholismus hatte befreien können, solange sie noch am Leben war. In meiner Trauer reiste ich. Ich besuchte Freunde am Genfer See, in Südfrankreich und in den Schweizer Alpen. Meine Gefühlsverwirrung löste sich nicht, ich kämpfte darum, einen klaren Kopf zu behalten. Meine Gedanken kreisten um die medizinische Behandlung der Alkoholsucht, die es, wie ich spürte, einfach geben
Weitere Kostenlose Bücher