Das Ende meiner Sucht
auf die gleiche Substanz reagierten, sprach dafür, dass der Grad der Abhängigkeit eine Rollespielen mochte. Meine Ärzte sagten mir, mein Alkoholismus sei extrem schwerwiegend. Wieder stand ich vor der Frage, welche Dosis ich nehmen sollte.
Und wie hoch war das Risiko? Es blieb nach wie vor eine entfernte Möglichkeit, dass eine Dosis, die ausreichend war, das Craving – mein Craving – zu unterdrücken, mich auch töten könnte. Vielleicht würde sie meine Muskeln so entspannen, dass ich im Schlaf aufhörte zu atmen. Zwar erschien es mir immer noch besser, bei der Suche nach einer Behandlung in Würde zu sterben, als mich der Verwahrlosung des alkoholbedingten Absturzes zu überlassen, aber ich hatte keinen Todeswunsch.
Ich suchte weiter. Es gab Versuche mit anderen Behandlungen, weitere Abstürze, weitere Unfälle. Bis Jahresende hatte ich ein Protokoll ausgearbeitet, wie ich meine Baclofen-Einnahme steigern würde. Am 8. Januar 2004 entschied ich, dass es jetzt so weit war. Wenn ich weiter den Empfehlungen meiner Ärzte folgte und den üblichen Behandlungsmethoden für Alkoholismus, würde ich immer wieder Rückfälle erleben und über kurz oder lang am Trinken sterben. Ich musste meine Behandlung selbst in die Hand nehmen.
Um mit meinem Baclofen-Protokoll ganz neu anzusetzen, ging ich bis auf eine Dosis von 30 Milligramm herunter und steigerte sie jeden dritten Tag um 20 Milligramm; bei verstärktem Craving oder erhöhtem Stress gestand ich mir zusätzlich 20 bis 40 Milligramm täglich zu. Weil mein Verlangen nach Alkohol immer nachmittags und abends besonders schlimm war, teilte ich die Baclofen-Dosis in drei unterschiedliche Portionen auf und nahm morgens weniger, später am Tag mehr. Ich wollte mich bis auf 300 Milligramm pro Tag steigern, sofern keine Nebenwirkungen auftraten, die das unmöglich machen würden. 300 Milligramm wären 4 Milligramm pro Kilogramm meines Körpergewichts, mehr als die Dosierung von 1 bis 3 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht, die bei den Versuchstieren das Verlangen nach Alkohol unterdrückt hatte.
Vom ersten Tag an ließen meine Muskelverspannungen und Angstgefühle nach, und mein Schlaf wurde erholsamer. Wenn ich zusätzliche 20 bis 40 Milligramm Baclofen einnahm, sobald ich den Wunsch nach Alkohol verspürte, erlebte ich nur rund eine Stunde intensives Craving, dann wich es und kehrte nicht so schnell wie in der Vergangenheit in der üblichen Stärke zurück.
Die zusätzlichen 20 bis 40 Milligramm erzeugten einen Zustand tiefer Entspannung, gefolgt von Schläfrigkeit, aber danach war ich immer ganz klar im Kopf. Das fühlte sich vollkommen anders an als die Benommenheit, die Benzodiazepine wie Valium verursachten. Selbst wenn ich einschlief, erwachte ich frisch. (Nach meiner Erfahrung ist verstärkte kognitive Leistungsfähigkeit eine Wirkung von Baclofen, die genauer untersucht werden sollte. Selbst wenn Baclofen mich ermüdete, war ich erstaunt über die Klarheit meines Geistes. Es gab keine »parasitären« Gedanken, die sich einmischten, wie es regelmäßig bei Abhängigkeit der Fall ist.)
In den Phasen tiefer Entspannung stellte ich fest, dass ich die Bewältigungsstrategien, die ich bei den AA und in der Verhaltenstherapie erlernt hatte, anwenden konnte wie nie zuvor. Das Baclofen ermöglichte, einen Gedankenschritt zwischen dem Craving und dem zwanghaften Griff zum Alkohol einzuschalten.
Am Mittwoch, dem 11. Februar, war ich bei 250 Milligramm Baclofen pro Tag angekommen. Meine Freundin Rebecca hatte mich überredet, mit ihrer Familie nach Megève in die Berge zu fahren, am frühen Nachmittag brachen wir auf. Ich mochte ihre Familie, und in den Bergen war ich immer besonders glücklich, aber ich machte mir Sorgen. In einem Wintersportort würde ich von Anreizen zum Trinken umgeben sein, besonders abends würde ich überall Menschen sehen, die sich mit Alkohol entspannten. Ich hoffte, wenn ich die entsprechenden Orte weitgehend mied, würde ich es schaffen können.
Am ersten Abend bestellten Rebecca und ihr Mann zum Abendessen Wein für sich und ihre Töchter. Alle tranken höchstens ein Glasoder zwei, ich blieb bei Mineralwasser, und als wir aufstanden, war noch ein Rest Wein in der Flasche.
In den nächsten Tagen unternahm ich lange Spaziergänge, manchmal allein, manchmal mit anderen zusammen. Der Blick auf die Berge und der Neuschnee begeisterten mich. Ich hatte Lust zum Skilaufen, entschied aber, dass ich keinen Unfall riskieren wollte, der womöglich
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