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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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selbst), dass solche Symptome für sie der Grund gewesen waren, zu einem Suchtmittel zu greifen. Auch hier beseitigt es die Krankheit, wenn man die Symptome zum Verschwinden bringt. Wenn jemand Schmerzen durch eine Krebsgeschwulst hat, muss man die Schmerzen lindern und den Tumor entfernen. Wenn ein Suchtpatient nicht mehr ängstlich und deprimiert ist, ist nichts mehr zu behandeln.
    Das Verlangen nach einem Suchtmittel oder suchthaftenVerhalten ist in zweierlei Hinsicht das Hauptsymptom der Sucht. Aus der Sicht des Patienten ist das Craving der allgegenwärtige Feind, der bekämpft werden muss – selbst nach Jahren der Abstinenz. Und vom Krankheitsverlauf her gesehen, ist Craving die Hauptursache für einen Rückfall.
    In anderer Hinsicht ist Craving allerdings ein höchst umstrittenes Thema der Suchtforschung. Manche Forscher argumentieren, es sei ein zu diffuses Konzept und habe deshalb keinen praktischen Wert. Dazu kann ich nur sagen: Wie Schmerzen ist es nur dann diffus, wenn man nicht daran leidet.
    Die große Mehrheit der Forscher erkennt an, dass Craving im Mittelpunkt der Sucht steht, und manche versuchen verschiedene Kategorien von Craving zu unterscheiden. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1999 in der Zeitschrift Alcohol and Alcoholism geben R. Verheul et al. vom Institut für Suchtforschung der Universität Amsterdam einen Überblick über die Forschungen zu drei Formen von Craving. Demnach gehörte zu jeder ein eigener, spezifischer Weg der Neurotransmission im Gehirn: hedonistisches »Belohnungs«-Craving; der Wunsch nach Spannungsverminderung beim »Erleichterungs«-Craving, und »Zwangs«-Craving, bei dem der Betroffene seine Gedanken nicht vom Suchtmittel oder suchthaften Verhalten abwenden kann. Die Autoren dieses Aufsatzes wie auch die anderer Studien wollen die drei Typen von Craving mit verschiedenen Manifestationen der Sucht verbinden; so postulieren sie zum Beispiel, dass »Belohnungs«-Craving für einen frühen Beginn der Sucht spricht und »Erleichterungs«-Craving für einen eher späten.
    Bei meiner Beschäftigung mit dem Thema Craving im Jahr 2003 kam ich zu der Überzeugung, dass diese Unterscheidungen sich letztlich als wichtig für das medizinische Verständnis von Sucht erweisen könnten. Aber ich fragte mich, was die Unterscheidung dieser Konzepte im Hinblick auf eine Behandlung nützen sollte. Mein Alkoholismus hatte spät begonnen, und mein Craving konnte größtenteils als Verlangen nach Erleichterung von extremer Spannungbeschrieben werden. Aber ich empfand regelmäßig auch Verlangen nach Belohnung – ich wollte mich endlich einmal gut fühlen –, und häufig belastete mich obsessives Craving, sodass ich meine Gedanken einfach nicht vom Alkohol abwenden konnte.
    Ich überlegte, wie verschieden die unterschiedlichen Typen von Craving tatsächlich waren. Wir denken gern, dass der kleine Unterschied das ist, was insgeheim wirklich zählt. Aber vielleicht sind die gemeinsamen Nenner bei der Neurotransmission, die man bei abhängigen Menschen und Tieren beobachtet hat, viel wichtiger als die subtilen Unterschiede.
    In dieser Hinsicht faszinierte mich, dass Baclofen im Tierversuch die Frequenz vermindert hatte, mit der die Versuchstiere sich Alkohol, Kokain, Heroin, Amphetamine und Nikotin verschafften. Mit ausreichend Baclofen verloren die Tiere den Antrieb, das Suchtmittel zu konsumieren, egal, was es war. Die Versuchstiere konnten den Forschern nicht sagen, ob sie Belohnung oder Erleichterung suchten oder von obsessivem Craving getrieben wurden. Ganz sicher war es unsinnig, bei Tieren, die man für ein wissenschaftliches Experiment gezielt süchtig gemacht hatte, zwischen einem frühen und einem späten Ausbruch der Sucht zu unterscheiden. Und sie hörten mit dem Konsum des Suchtmittels nicht deshalb auf, weil sie ein Erweckungserlebnis hatten oder verstanden, dass ihr Verhalten ihrer Gesundheit schadete. Sie hörten einfach auf.
    Je mehr ich las, desto stärker wurde meine Überzeugung, dass ich mit einer ausreichend hohen Dosis Baclofen an den Punkt gelangen könnte, wo ich keinen Antrieb mehr verspüren würde, Alkohol zu konsumieren. Aber wie hoch musste die Dosis sein? Bei den Versuchstieren unterdrückte Baclofen in einer Dosierung von 1 bis 3 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht den Antrieb zum Konsum von Alkohol, bei verschiedenen anderen Substanzen waren es 1 bis 5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Die Bandbreite der Dosierung, in der verschiedene Versuchstiere

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