Das Ende meiner Sucht
der University of Pennsylvania, zu dessen medizinischem Zentrum auch das Charles O’Brien Center for Addiction Treatment gehört. Professor O’Brien, unter dessen Leitung Anna Rose Childress ihre Forschungen betrieb, schrieb mir: »Ihr Paper hat bereits mich und andere beeinflusst. Ich glaube, Anna Rose Childress hat Ihnen über unsere Forschungen mit Baclofen berichtet. Die Frage ist natürlich, ob unsere Dosis zu niedrig ist.«
In New York gab es einen forschenden Mediziner, dessen Einschätzung mich besonders interessierte: Jerome B. Posner, weltweitrenommierter Begründer der Neuroonkologie. Er war Professor für Neurologie und Neurowissenschaften am Weill Cornell Medical College, außerdem Evelyn-Frew-Professor für Klinische Forschung der Amerikanischen Krebsgesellschaft und Inhaber des George-C.-Cotzias-Lehrstuhls für Neuroonkologie am Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum. Obwohl wir Nachbarn im selben Apartmenthaus gewesen waren und uns im Fahrstuhl und in der Lobby immer freundlich gegrüßt hatten, kannte ich ihn nicht wirklich und dachte, er würde sich womöglich gar nicht an mich erinnern. Aber ich bewunderte ihn sehr. Voller Beklommenheit schickte ich ihm mein Paper, denn nach allem, was meine Kollegen am New York Hospital mir erzählt hatten, eilte ihm der Ruf voraus, dass er wacklige Argumentationen mit ein paar klaren Worten zertrümmerte. Er antwortete noch am selben Tag.
Lieber Olivier,
vielen Dank für Ihr Schreiben und den Ausdruck. Als Erstes möchte ich Ihnen meine Glückwünsche aussprechen zur erfolgreichen Behandlung Ihrer Krankheit, von der ich nichts wusste. Ihre Behandlung erinnert mich daran, wie es George Cotzias gelang zu beweisen, dass L-Dopa erfolgreich zur Behandlung von Parkinson eingesetzt werden kann. Andere hatten den Wirkstoff mit wenig Erfolg ausprobiert, weil sie nicht bereit waren, die Dosierung bis zur Toleranzgrenze zu steigern.
Mit freundlichen Grüßen,
Jerry
Eine größere Ermutigung als diesen Brief vom Cotzias-Lehrstuhl für Neuroonkologie am Memorial Sloan-Kettering konnte es nicht geben.
Auf den Bericht in Business Week folgten keine Reaktionen von Forschern oder aus den Medien. Doch was er bewirkte, war in gewisser Weise herzerwärmender – und herzzerreißender: Immer mehrAbhängige und ihre Angehörigen meldeten sich bei mir. Stundenlang beantwortete ich per E-Mail und am Telefon Fragen zu Baclofen und beriet Menschen, wie sie ihre Ärzte am besten auf Baclofen ansprechen konnten. Die meisten Betroffenen konnten ihre Ärzte leider nicht bewegen, ein ihnen nicht vertrautes Medikament off-label zu verordnen. Ich sagte den Patienten, ich würde gerne selbst mit ihren Ärzten darüber sprechen, wie eine Therapie mit hoch dosiertem Baclofen durchzuführen sei. Kein Arzt meldete sich bei mir.
Ein Patient, der Kontakt zu mir aufnahm, war Herr A., leitender Manager aus dem Mittleren Westen. Herr A. war alkoholabhängig und fürchtete, wenn er weiter exzessiv trank, würden seine Karriere und seine Ehe dadurch kaputtgehen. Er teilte mir weiter mit, er sei in psychiatrischer und in psychotherapeutischer Behandlung wegen Angst und Depressionen, die schon vor seiner Alkoholabhängigkeit bestanden hätten. Totale Abstinenz war nicht sein Ziel. Sein Job verlangte, dass er häufig mit Kunden und Mitarbeitern ausging, und sein Ziel war, in normalem Maß Alkohol zu trinken, ohne die Kontrolle zu verlieren und sein berufliches und privates Leben in Gefahr zu bringen.
Die Anonymen Alkoholiker und die Ärzte sagen, dass moderates, sicheres, nicht suchtartiges Trinken für Alkoholiker nicht möglich ist. »Einmal abhängig, immer abhängig«, heißt es. Aber es ist der Traum vieler Menschen mit problematischem Trinkverhalten. »Ich wünschte, ich könnte ein paar Drinks genießen wie ein normaler Mensch«, habe ich bei AA-Meetings und in der Klinik oft von anderen (und von mir selbst) gehört.
Seit Baclofen im Februar 2004 meinen Alkoholismus unterdrückt hatte, interessierte mich Alkohol nicht mehr. Aber schließlich tauchte doch die Frage auf, wie rückfallgefährdet ich tatsächlich war. Würde ein Drink mich wieder in die Hölle des Alkoholismus zurückwerfen? Steckte ich noch mittendrin im Elend oder war ich dank Baclofen draußen?
Im Mai 2005, 16 Monate nach meinem letzten Drink, unterzog ich meine Genesung durch drei Tests nacheinander der Feuerprobe.
Der erste Test: Ich nahm weiter meine Erhaltungsdosis von 120 Milligramm Baclofen täglich und trank bei einem
Weitere Kostenlose Bücher