Das Ende meiner Sucht
üblichen Anti-Craving-Medikamente ansprach. Er verschrieb ihm weiter 150 Milligramm täglich Naltrexon oral, und als das keinen Erfolg zeigte, gab er zusätzlich 2 Gramm pro Tag Acamprosat; aber auch das hatte keine positive Wirkung auf Herrn A.s Craving und Alkoholkonsum. Schließlich stellte er ihn auf Topiramat um, mit eher noch schlechterem Ergebnis: Das Topiramat half nicht gegen Craving und Alkoholkonsum, führte aber zu Wortfindungsstörungen. Für Herrn A. war das eine Katastrophe, denn er musste bei geschäftlichen Meetings und Konferenzen oft vor vielen Menschen sprechen. Und während Herr A. all diese Medikamente nahm, trank er weiter schwer, durchschnittlich zwölf Drinks auf einmal.
Im September begann Herr A. mit der Einnahme von Baclofen und steigerte die Dosis über einen Monat langsam auf 100 Milligramm pro Tag. Er kontaktierte mich täglich per Mail oder Telefon, wie Dr. Bucknam ihm dringlich geraten hatte, sodass ich ihn informieren konnte, was von der Medikation zu erwarten war, und ihm beim Umgang mit Problemen helfen konnte; außerdem berichtete er regelmäßig an Dr. Bucknam und suchte ihn einmal wöchentlich auf.
Noch vor Ablauf des ersten Monats erzählte Herr A., dass er eines Abends von seinem täglichen 5-Kilometer-Lauf zurückgekehrt sei und danach zum ersten Mal, seit sein Trinkverhalten problematisch geworden war, eine Flasche Wasser statt einer Flasche Bier aus dem Kühlschrank geholt habe. Üblicherweise trank er drei bis vier Bier vor dem Abendessen und zum Essen dann weiteren Alkohol. An demAbend verspürte er kein Bedürfnis zu trinken. Das Craving meldete sich dann allerdings später am Abend wieder, weil er nicht daran gedacht hatte, mehr Baclofen zu nehmen.
Herr A. berichtete, bei einer täglichen Dosis von 100 Milligramm Baclofen mit zusätzlich 40 Milligramm in besonders stressreichen Phasen sei das starke Trinken für ihn zu einer »fremden Welt« geworden, und er bezeichnete Baclofen als »meine Wunderdroge«. Nie wieder verspürte er den Drang, mehr als drei Drinks hintereinander zu trinken. Er konnte maßvoll trinken, wenn er mit Kunden oder anderen Menschen zusammen war, ohne das Risiko, die Kontrolle zu verlieren und hemmungslos Alkohol in sich hineinzuschütten. Er litt weder unter Schläfrigkeit noch unter sonstigen Nebenwirkungen, während er seine Baclofen-Dosis auf 100 bis 140 Milligramm steigerte und dann auf diesem Level blieb.
Herr A. nahm weiter einen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gegen Angst und Depression. Mir schien es denkbar, auf den SSRI zu verzichten, wenn er seine Baclofen-Dosis weiter gesteigert hätte. Doch bei mehr als 140 Milligramm Baclofen täglich verspürte Herr A. Schläfrigkeit. Meine eigenen Erfahrungen und die langjährige unproblematische Anwendung von Baclofen zur Symptomlinderung bei neurologischen Patienten sprach für die Annahme, dass die Schläfrigkeit bei höheren Dosen wahrscheinlich verschwunden wäre, wenn er sich ein paar Tage freigenommen hätte. Aber er kam mit dem SSRI gegen Angst und Depression gut zurecht und wollte bei der Dosierung von 100 bis 140 Milligramm Baclofen bleiben.
Ich hatte zwar eine positive Entwicklung erwartet, war aber dennoch enorm erleichtert. Etwa um die Zeit erfuhr ich, dass unterdessen ein weiterer Alkoholiker in den Vereinigten Staaten mit hoch dosiertem Baclofen von seiner Sucht losgekommen war.
Am 24. August 2005 berichtete Dr. Jon Hallberg, der im Minnesota Public Radio oft zu medizinischen Themen sprach, einer seiner Patienten, »ein schwerer Alkoholiker«, habe ihn nach Baclofengefragt, nachdem er im Internet auf meinen Fallbericht gestoßen sei. »Bei meinem Patienten«, erzählte Dr. Hallberg, »hat [hoch dosiertes Baclofen] großartig gewirkt. Er trank einen Liter Hochprozentiges am Tag. Und nach zwei Tagen mit diesem Medikament hörte er auf.«
Nun waren wir schon drei Menschen und ein paar Laborratten, die auf Baclofen ansprachen. Es blieb abzuwarten, ob der therapeutische Erfolg bei den Patienten von Dr. Bucknam und Dr. Hallberg anhalten würde wie bei mir, aber es sah gut aus.
Mein Wunschtraum waren wissenschaftliche Studien: randomisierte klinische Studien, die entweder zeigen würden, dass auch andere Menschen mit Baclofen vollkommene Freiheit von den Symptomen und Folgen einer Suchterkrankung erreichen konnten, oder dass ich eine Anomalie war. In einem Brief an den Herausgeber von The Journal of the American Medical Association erneuerte ich den Aufruf in
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