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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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dadurch gefunden haben, jedoch lieber anonym blieben.
    Im Februar 2008 erhielt ich eine E-Mail mit dem Betreff »Alkoholismus und Baclofen. 21 Monate nüchtern. Danke, dass Sie mein Leben gerettet haben!!!«. Absender war eine Frau aus Montana, die mir im Oktober 2006 eine erste Mail geschickt hatte. Damals schrieb sie:
    Ich bin eine 47-jährige Frau … und leide bereits den größten Teil meines Erwachsenenlebens an Alkoholismus. Ich bin Mitglied bei den AA, habe Tausende von Meetings besucht und war insgesamt neun Mal auf stationärem und ambulantem Entzug.
    Ich war bei zahlreichen Ärzten, Therapeuten, Psychologen, immer mit demselben Ergebnis: ein Rückfall nach dem anderen …
    Ohne Einzelheiten über all diese Jahren der Scham, der Furcht, des Selbsthasses und der Selbstmordgedanken auszubreiten: Ich glaubte wirklich, den Verstand zu verlieren – ganz zu schweigen von meiner Familie, meinen Freunden, Arbeitsstellen und jeglichem Selbstwertgefühl.
    Tief im Inneren wusste ich, dass bei meiner Krankheit mehr vorgehen musste, aber ich wusste nicht, wohin ich mich noch wenden sollte …
    Viele Male sagte ich zu meinen Söhnen: »Es wird vielleicht nicht mehr zu meinen Lebzeiten passieren, aber eines Tages wird man Beweise dafür finden, dass es mehr ist als eine psychosoziale Erkrankung.«
    Schließlich vereinbarte ich aus eigenem Antrieb einen Termin mit einem Neurologen … Am Abend davor stieß mein Mann im Internet auf Ihren Fallbericht.
    Um es kurz zu machen: Mit Unterstützung von [meinem Neurologen] … begann [ich] langsam mit der Einnahme von Baclofen …
    Inzwischen bin ich bei 60 mg dreimal täglich … Ich bin glücklich, sagen zu können, dass ich in den letzten sechs Monaten nüchtern war! Das ist erst ein Mal vorgekommen, 1993, als ich für sechs Monate in einer Entzugsklinik war.
    Ich schrieb der Frau zurück, gratulierte ihr und dankte ihr sehr für die Bereitschaft, mir ihre Geschichte zu erzählen. Ich bat sie, in Kontakt zu bleiben, doch durch irgendein Problem erreichte mich ihre nächste Mail vom Januar 2007 nicht, in der sie berichtete, dass sie nun bei 180 Milligramm Baclofen täglich sei und es ihr weiter gut gehe. Dann kam die Mail vom Februar 2008 mit dem zitierten Betreff. Sehr bewegend war, dass sie befürchtete, die Tatsache, dass ich auf ihre zweite Mail nicht reagiert hatte, könne bedeuten, dass ich rückfällig geworden sei, weil ich mit der Einnahme von Baclofen aufgehört hatte. Ich versicherte ihr umgehend, dass ich weiter Baclofen nehme und vom Alkoholismus frei bin.
    Wie genau Baclofen das Craving unterdrückt und die zugrunde liegende Dysphorie lindert, muss erst noch durch weitere Forschungen geklärt werden. Aber wichtige Teile der Antwort wurden bereits gefunden. Baclofen beeinflusst die Neurotransmitter Dopamin, GABA und Glutamat. Es verstärkt die GABA-Aktivität, reduziert Glutamat und reduziert auf diesem Weg auch Dopamin. 9 Dadurch scheint es ausgleichend auf die Belohnungsmechanismen des Gehirns zu wirken.
    Verschiedene Suchtmittel regen die Dopamin-Ausschüttung an. In einem 2003 in Synapse, einer führenden Neurologie-Zeitschrift, erschienenen Aufsatz berichteten Forscher, Baclofen »reduzierte dosisabhängig die durch Nikotin, Morphin und Kokain induzierte[Dopamin-]Ausschüttung« im Tierversuch. Die Schlussfolgerung des Abstracts lautet: »Zusammengenommen betrachtet stehen unsere Daten im Einklang mit früheren Berichten, die nachgewiesen haben, dass Baclofen in der Lage ist, die … [Dopamin-]Transmission zu modulieren, und die Baclofen zu einem mutmaßlichen Kandidaten für die Pharmakotherapie der Polytoxikomanie machen.« 10 (Im Jargon der Wissenschaft bedeutet »mutmaßlich« gleich »wahrscheinlich«, nicht nur »vermutlich« oder »angenommen«.)
    Neben der Tatsache, dass Baclofen im Tierversuch dosisabhängig die Motivation zum Konsum von Alkohol, Kokain, Heroin, Nikotin und Amphetaminen unterdrückte, war niedrig dosiertes Baclofen in randomisierten Studien mit Suchtpatienten in der Lage, das Craving nach Kokain, Opiaten und Alkohol sowie in einem offenen Versuch auch das Craving nach Essen bei Essstörungen zu unterdrücken. Wie ich in meinem Aufsatz in Alcohol and Alcoholism dargelegt habe, lassen diese Ergebnisse vermuten, dass die das Craving unterdrückenden Wirkungen von Baclofen beim Menschen auch auf andere Abhängigkeiten als Alkoholismus übertragen werden könnten. Sie sprechen dafür, dass hoch dosiertes Baclofen in randomisierten Studien

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