Das Ende meiner Sucht
Behandlungsmodell für Sucht vor, »Behandlung und Wohlbefinden [zu] verbinden«: »Suppression der Symptome einer stoffgebundenen Abhängigkeit mit Linderung der Komorbidität Angst«, oder anders formuliert die Blockierung der klinischen Expression von Symptomen der Abhängigkeit bei gleichzeitiger Befreiung von der zugrunde liegenden Dysphorie. (Vgl. den kompletten Bericht im Anhang.)
In der Folge habe ich in unabhängig begutachteten Aufsätzen und in Gesprächen mit Angehörigen der suchtmedizinischenForschungs- und Behandlungs-Community angeregt, Anti-Craving-Mittel sollten entweder als Craving reduzierende Mittel (craving-reduction agents, CRA) oder als Craving unterdrückende Mittel (craving-suppression agents, CSA) klassifiziert werden. CRAs, darunter auch niedrig dosiertes Baclofen, bringen Suchtpatienten nicht über die Schwelle der echten Remission. Sie halten die Patienten gewissermaßen in der Krankheit, während hoch dosiertes Baclofen mich aus der Alkoholkrankheit herausgeholt und von all ihren Symptomen und Folgen befreit hat.
Bislang ist hoch dosiertes Baclofen das einzige bekannte CSA, aber man sollte nach mehr CSAs suchen und sie erforschen. Kein Medikament wirkt bei allen Patienten gleich gut, Baclofen ist da sicher keine Ausnahme.
Im Februar 2008 las ich fasziniert das Abstract eines Aufsatzes in der Zeitschrift Science, Verfasser D. T. George et al., mit dem Titel »Neurokinin 1 receptor antagonism as a possible therapy for alcoholism« (Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonismus als mögliche Therapie bei Alkoholismus). In dem Abstract hieß es: »LY686017 [ein von Eli Lilly entwickelter Wirkstoff] unterdrückte spontanes Alkohol-Craving, besserte das allgemeine Wohlbefinden [und] verhinderte durch einen Reiz induziertes Craving«. In einem Kommentar zu dem Paper sagte Dr. Markus Heilig, der Hauptautor, klinischer Direktor des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism, LY686017 sei »ein ganz neuer Ansatz zur Behandlung von Alkoholismus«, weil es »auf die Angst [zielt], die bei vielen Alkoholikern der Hauptgrund ist, warum sie zur Flasche greifen«. 5
Im Gegensatz zu dem Abstract hieß es in dem Paper, LY686017 habe das Craving in der Studie lediglich reduziert, nicht unterdrückt, wie es bei hoch dosiertem Baclofen der Fall ist. Am Ende des Versuchs litten Studienteilnehmer immer noch unter anhaltendem Craving, gemessen nach Standardskalen für Craving. Die mangelnde Präzision bei der Beschreibung der Wirkung von LY686017 ist unglücklich;nach gängigen Wörterbüchern bedeutet »unterdrücken«, dass einer Sache ein Ende gesetzt oder etwas komplett beseitigt, nicht nur reduziert wird. Doch die Formulierung des Abstract signalisiert immerhin zunehmende Anerkennung in der Suchtmedizin, dass man Mittel braucht, die das Craving unterdrücken und zugleich auf die zugrunde liegende Dysphorie wirken.
Ich würde mich freuen, wenn es außer Baclofen noch andere Mittel zur Unterdrückung des Craving gäbe, sofern sie sich in der langfristigen Anwendung als genauso sicher erweisen sollten wie Baclofen. Bis dahin bietet Baclofen für die Suchtbehandlung die größten Hoffnungen. Alle verfügbaren Daten sprechen dafür, dass es im langfristigen Gebrauch ebenso sicher wie wirksam ist. Ende 2007 schrieben Giovanni Addolorato et al. in einem Aufsatz in The Lancet, niedrig dosiertes Baclofen könne als sicheres Mittel auch bei Patienten angewendet werden, die infolge ihrer Alkoholabhängigkeit eine Leberzirrhose entwickelt haben. 6
Ich habe bereits über die sichere Anwendung von hoch dosiertem Baclofen zur Symptomlinderung bei neurologischen Patienten seit Mitte der 1960er Jahre mit Dosierungen von bis zu 300 Milligramm täglich berichtet, zehn Mal so viel wie bei den bisherigen Versuchen mit alkoholabhängigen Patienten. Nach der Veröffentlichung meines Fallberichts erfuhr ich, dass hoch dosiertes Baclofen als sicheres Medikament zur Symptomlinderung bei Kindern und Jugendlichen wie auch bei Erwachsenen eingesetzt wurde. In einer Studie mit Nachbeobachtung über acht Jahre am Columbia University Medical Center begann man bei Kindern und Jugendlichen mit Problemen wie Gangstörungen mit 40 Milligramm täglich und steigerte die Dosis bis auf 180 Milligramm, ohne dass beeinträchtigende Nebenwirkungen auftraten. 7
Doch in den letzten 20 Jahren haben Suchtforscher in Studien zu Alkoholabhängigkeit nicht mehr als 30 Milligramm täglich eingesetzt und bei Kokainabhängigkeit nicht mehr als 60
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