Das Ende meiner Sucht
Amygdala konzentriert – den Teil des limbischen Systems im Gehirn, in dem körperliche Empfindungen, Gefühle und Emotionen verarbeitet werden – als die Region, in der die wichtigsten Neurotransmissionsvorgänge ablaufen. Es wurde weiter gezeigt, dass die Amygdala eineherausragende Rolle bei Angst spielt. Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio und seine Kollegen an der University of Iowa und an der University of Southern California haben das Augenmerk auf die Insula gerichtet, eine benachbarte Gehirnregion, die ebenfalls Teil des limbischen Systems ist. Die Insula ist von entscheidender Bedeutung bei der Integration von Gefühlen und Wünschen einschließlich Craving nach einem Suchtmittel und bei ihrer Bewusstmachung. Anfang 2007 berichteten vier Kollegen von Professor Damasio, die Neurowissenschaftler Antoine Bechara, Hanna Damasio, Nasir Naqvi und David Rudrauf, in der Zeitschrift Science, dass Verletzungen der Insula infolge eines Schlaganfalls das Nikotin-Craving bei Menschen zum Verschwinden gebracht hätten, die zuvor tabakabhängig waren. 12
Als die Erkenntnisse über die Insula in Science erschienen, hielt ich mich zu Gesprächen über dieses Buch in New York auf und stellte fest, dass Antonio Damasio und ich denselben literarischen Agenten haben. Professor Damasio war gerade ebenfalls in New York, und wir unterhielten uns lange. Er hatte meinen Fallbericht gelesen und kommentierte lächelnd: »Ihre Methode ist besser als unsere. Sie unterdrücken das Craving mit einem Medikament. Ein Schlaganfall ist nicht gerade die Behandlung, die ich einem Patienten empfehlen würde.«
Und er fuhr fort: »Ich habe eine Idee, warum Baclofen wirken könnte.«
»Ich glaube, ich habe auch eine Idee.«
Er fragte: »Was ist Ihre Idee?«
»Baclofen ist ein Muskelrelaxans, und ich bin sicher, dass die Muskeln eine direkte Rolle bei der klinischen Expression einer Abhängigkeit spielen.«
Professor Damasio meinte: »Ich denke, dass Sie recht haben. Die Neuronen in der Insula sind vorrangig motorische Neuronen, die die Muskelaktivität kontrollieren.«
Die Kette der Ereignisse im Körper, die zu der Dysphorie vonAngst und Depression und zu Craving führt, würde demnach in etwa so ablaufen: Eine aus dem Gleichgewicht geratene Neurotransmission könnte die ersten spürbaren Wirkungen auf die Muskeln haben und dann unsere Gefühle und Gedanken stören. Um die Abhängigkeit und die zugrunde liegende Dysphorie zugleich zu behandeln, müssen wir die Kette an ihrem ersten Glied unterbrechen.
Wie ich gesagt habe, bleibt noch viel an Baclofen zu erforschen, aber dass es wert ist, gründlich untersucht und hinsichtlich seiner Wirksamkeit in der Suchtbehandlung in randomisierten Studien überprüft zu werden, steht nach dem, was bereits bekannt ist, außer Frage.
Anfang 2008 kontaktierte mich Professor Thomas Papo, der Leiter der Inneren Medizin am Hôpital Bichat, einem Lehrkrankenhaus der Universität Paris. Er sagte, Dr. Catherine DeAngelis, die Chefredakteurin des JAMA, in dem ich zwei unabhängig begutachtete Aufsätze über Sucht veröffentlichte, habe ihm von meiner Arbeit erzählt. Dies veranlasste Professor Papo, mich zu einem Vortrag im Hôpital Bichat einzuladen, dem er den Titel gab: »Alkoholismus: Der neue Weg.«
Etwa zur selben Zeit lud mich Professor Antoine Hadengue, Leiter der Gastroenterologie und Hepatologie an der Universitätsklinik Genf, ein, im späteren Frühjahr einen Vortrag über Baclofen zu halten, und George Koob bat mich um meinen Rat bei geplanten prospektiven Versuchen mit Baclofen, die er mit einem Kollegen an der University of California in San Diego durchführen wollte. Ich fühlte mich durch beide Anfragen geehrt und sagte freudig zu.
Der dosisabhängige Einsatz von Baclofen findet langsam die Aufmerksamkeit, die er verdient hat, seit Dave Roberts in seinem bahnbrechenden Aufsatz aus dem Jahr 1997 gezeigt hat, dass Baclofen im Tierversuch den Kokainkonsum unterdrücken konnte. Trotz dieser Entwicklungen fürchte ich, dass wir von einer randomisierten Studie mit hoch dosiertem Baclofen an menschlichen Patienten noch weit entfernt sind. Jonathan Chick hat womöglich recht gehabt, als er michwarnte, es könne bis zu einer Generation dauern, bis die Medizin einen neuen Behandlungsansatz annehme.
Unterdessen wurden Versuche an Menschen mit Naltrexon, Acamprosat und Topiramat auf den Weg gebracht oder gehen weiter, obwohl die Ergebnisse derartiger Studien regelmäßig sehr bescheiden
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