Das Ende meiner Sucht
keinerlei Abnahme von Morbidität und Mortalität infolge der Sucht gezeigt, seit dieser Therapieansatz vor beinahe zwei Jahrzehnten eingeführt wurde.
Der neue Anti-Craving-Wirkstoff, der demnächst zur Verfügung stehen wird, Vigabatrin, dürfte daran vermutlich nichts ändern. Vigabatrin, Handelsname Sabril, wurde von der FDA 2008 im beschleunigten Verfahren für Humanversuche der Phase drei zur Suchtbehandlung zugelassen. Vigabatrin konnte nachweislich das Craving nach Heroin und Amphetaminen verringern, und es gibt Pläne, es auch bei Alkoholabhängigkeit zu testen. Studien mit Vigabatrin bei der Behandlung von Epilepsie haben erbracht, dass es in vielen Fällen toxisch auf die Augen wirkt: Bei 30 bis 60 Prozent der damit behandelten Patienten kommt es zu irreversiblen Gesichtsfeldausfällen.
In Anbetracht des dokumentierten Risikos einer toxischen Wirkung von Vigabatrin auf die Augen und seines noch unbewiesenenNutzens hätte ich es nie genommen, selbst wenn es keine Alternative gegeben hätte. Als Arzt würde ich keinen Patienten einer solchen Gefahr aussetzen wollen, wenn es mit Baclofen eine wirksame Alternative gibt, die seit 40 Jahren sicher angewendet wird.
Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass die ersten Patienten, die ein neu auf den Markt gebrachtes Medikament einnehmen, manchmal ein erhebliches Risiko tragen. Der Fall des entzündungshemmenden Mittels Vioxx illustriert das. Das Medikament kam 1999 auf den Markt und wurde viel verschrieben. Aber nach einer Untersuchung der amerikanischen FDA ist Vioxx womöglich für 27 785 Todesfälle und Fälle von Herzproblemen zwischen 1999 und 2004 verantwortlich, und in der Folge wurde es vom Markt genommen.
Bei zwei kürzlich zugelassenen Mitteln zur Raucherentwöhnung, Rimonabant (Handelsname Acomplia) und Vareniclin (Handelsnamen Champix und Chantix), soll es ebenfalls zu gravierenden Nebenwirkungen gekommen sein, nachdem sie auf den Markt gebracht wurden. Unter Rimonabant nahmen Depressionen erheblich zu, und Anfang 2008 warnte die FDA, Vareniclin könnte das Suizidrisiko verdoppeln.
Wir müssen neu definieren, was Remission bei einer Suchterkrankung bedeutet. Nach dem DSM-IV heißt volle Remission einer Sucht mehr als zwölf Monate Abstinenz, unabhängig davon, ob Craving und Einengung des Denkens auf das Suchtmittel weiter bestehen. Mit anderen Worten: Der Patient hat weiter sehr belastende primäre Symptome, was man bei keiner anderen Krankheit als volle Remission einstufen würde. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte 1948 in ihrer Präambel Gesundheit nicht nur als Abwesenheit von Beschwerden und Krankheit, sondern als Zustand des Wohlbefindens.
Selbst im besten Szenarium bleiben Patienten, die Anti-Craving-Mittel wie Naltrexon, Acamprosat oder Topiramat einnehmen, in einem Zustand, in dem sie weiter gegen Suchtdruck und Einengung des Denkens auf das Suchtmittel oder Suchtverhalten kämpfen,manchmal Stunde um Stunde, und diese Symptome bringen das Risiko von Rückfall und Tod mit sich. Überdies befreien diese Medikamente nicht von der zugrunde liegenden Dysphorie wie einer präexistenten Angst oder Depression, die so viele Menschen für eine Sucht anfällig macht. Nach der WHO-Definition von Gesundheit reduzieren sie Krankheit und Beschwerden infolge der Sucht, fördern aber nicht das Wohlbefinden, indem sie die chronische Dysphorie beseitigen.
Unter den Suchtmedikamenten ist Baclofen bis heute das Einzige, das im Tierversuch die Motivation zum Konsum von Alkohol, Kokain, Heroin, Nikotin und Amphetaminen vollständig unterdrücken und nicht nur reduzieren konnte. Ebenso einzigartig unter den Suchtmedikamenten ist es hinsichtlich seiner positiven Wirkungen auf die Dysphorie bei Menschen.
Wie oben beschrieben, stellte ich 2003 die Hypothese auf, dass die dosisabhängige Fähigkeit von Baclofen, bei Tieren die Motivation zum Gebrauch eines Suchtmittels zu unterdrücken, auf Menschen übertragen werden kann und dass Baclofen überdies das Wohlbefinden fördert, weil ich die Wirkungen auf die bei mir zugrunde liegende Angst beobachtet hatte. Ich überprüfte die Hypothese in einem Selbstversuch mit hoch dosiertem Baclofen. In meinem Fallbericht »Vollständige und dauerhafte Suppression der Symptome und Folgen von Alkoholabhängigkeit durch hoch dosiertes Baclofen: Bericht eines Arztes über seinen eigenen Fall« schilderte ich den Erfolg des Versuchs, forderte randomisierte Studien mit hoch dosiertem Baclofen und schlug als neues
Weitere Kostenlose Bücher