Das Ende
York
7:58 Uhr
Von Gewissheit erfüllt trug Paolo Salvatore Minos seinen Sohn auf dem Arm, hielt die lädierte Stahlprothese in seiner freien Hand und schritt in das eisige Wasser des Hafens von New York. Er war so konzentriert, dass er die Kälte überhaupt nicht spürte. Das Wasser stieg über seine Knie … doch nichts geschah.
Betrachten Sie es als Taufe. Er ging weiter, und kurz darauf reichte ihm das Wasser bis an die Brust. Die zwei Grad kalten Fluten waren nur noch wenige Zentimeter
von der Decke des Babys entfernt – und plötzlich konnte er nichts mehr hören und den Himmel nicht mehr sehen, als er über die unsichtbare Betonkante hinaustrat und unter Wasser sank.
Sein Herz hämmerte vor Entsetzen, während er mit der linken Hand nach dem Gesicht des Kindes tastete und seinem kleinen Sohn die Nase zudrückte. Panisch zwang er sich zu einem weiteren Schritt, und schließlich gewann sein linker Fuß neuen Halt. Mit der Armprothese als Krücke fand er das Gleichgewicht wieder und ging die Rampe hinauf zurück, um sein Kind zu retten. Doch als er seinen Kopf wieder über Wasser halten und die Nase seines Sohnes loslassen konnte, sah er, dass er nicht auf der Bootsrampe stand, sondern auf einer Eisscholle.
Die Fluten des Hafens hatten sich nicht geteilt. Stattdessen gefror nach und nach das Wasser in seiner unmittelbaren Umgebung zu einer drei bis viereinhalb Meter breiten Eisscholle, die sich langsam in südwestlicher Richtung durch den Hafen von New York erstreckte.
Er stieß die eisige Luft aus seiner Lunge und zitterte am ganzen Leib. Tränen strömten aus seinen roten, angeschwollenen Augen. Er ging zurück zum Ufer, wo ihm seine Frau mit Tränen in den Augen das weinende Kind abnahm und ihn in eine trockene Decke wickelte. »Paolo … wie?«
»Gewissheit.«
David und Pankaj sahen einander an. Sie wussten nicht, was sie tun sollten.
Der tibetische Mönch packte sie heftig bei den Ellbogen, sodass sie sich aus ihrer Erstarrung lösten. »Analysiert die Manifestation nicht. Benutzt sie, um uns alle von der Insel zu schaffen!«
»Pankaj, kümmere dich um Gavi! Ich hole die anderen! « David rannte zurück zum Schulbus, um die Kinder zu wecken, während Pankaj und Manisha Dawn und Gavi halfen, auf die Eisscholle zu klettern, die zwar hin und her schwankte, sich jedoch auf den Fluten behaupten konnte.
Die Kinder stürmten aus dem Bus ans Ufer, als drei Hubschrauber einen Kilometer entfernt im Norden den Hudson überflogen.
»Los, los, los, bewegt euch! Wir müssen uns beeilen! «
David und Marquis Jackson-Horne reichten die Kinder an Pankaj und Manisha weiter. Alle hielten sich bei den Händen und bildeten hinter Paolo und Francesca eine lange Reihe. Der Italiener und seine Frau führten die Gruppe in einem raschen Exodus von der Insel durch den Hafen. Die älteren Schüler und die ehemaligen Sexsklavinnen halfen den kleineren Kindern und trieben sie auf der glatten Eisscholle zur Eile an. David kletterte zu seiner Tochter auf das Eis.
Der Älteste hielt Marquis auf. »Du musst dich entscheiden, welchen Weg dein restliches Leben nehmen soll. Und zwar jetzt.«
Marquis’ kleine Schwester nickte.
Der ehemalige Bandenchef griff in seinen Hosenbund, zog seine 9-Millimeter-Pistole heraus und warf sie in den Hafen. Dann folgte er seiner Schwester auf das Eis.
Schließlich kletterte der Älteste ihm nach. Er war der Letzte der Gruppe.
Sheridan Ernstmeyer wartete, bis die sechsunddreißig Männer, Frauen und Kinder sich gut dreißig Meter vom Ufer entfernt hatten, bevor sie überzeugt war, dass sie
ihnen folgen konnte. Vorsichtig trat sie auf die gefrorene Wasseroberfläche. »Das ist verrückt.«
An der Spitze der Gruppe schlitterten Paolo und Francesca über die rutschige, dunkle Oberfläche, als würden sie Schlittschuh laufen. Liberty Island war nicht einmal mehr vierhundert Meter entfernt, doch die Freiheitsstatue verschwand in einem dichten weißen Nebel, der sich um den gefrorenen Pfad herum bildete und den Exodus aus Manhattan für fremde Augen unsichtbar machte – während die Kälte des Nebels dafür sorgte, dass die Reaper-Drohnen mit ihren Wärmebildkameras die Körperwärme der Fliehenden nicht erkennen konnten. Paolo konzentrierte sich auf die Eisscholle, die sich wenige Meter vor ihm immer weiter verlängerte und verfestigte, als er plötzlich eine schneidende Kälte spürte, die ihm bis auf die Knochen drang, sein Rückgrat hinaufstieg und ihn schaudern ließ.
Er wandte sich nach
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