Das Engelsgrab
hatte sich wieder beruhigt. Auch ihre Bewegungen wirkten ausgeglichener. Sie atmete nicht mehr so hastig.
Das erste Gefühl der Ruhe überkam sie, und sie näherte sich dem Zustand einer gewissen Müdigkeit. Dennoch waren ihre Sinne geschärft.
Sie sensibilisierten sich noch stärker, als Claudine an der Reihe der Gräber entlangging und die Kreuze anblickte.
Kleine Gräber, auch kleine, aber kompakte Kreuze. Der weiche Untergrund schluckte Claudines Schritte. Wieder nahm sie die Einflüsse der Umgebung besser auf, und sie spürte von neuem den kühlen Wind, der gegen sie wehte.
Und es stimmte der Geruch!
Abrupt blieb Claudine stehen. Beinahe ohne es zu wollen, hatten ihre Augen einen bestimmten Glanz bekommen. Sie fühlte sich auch innerlich strahlend und wäre am liebsten leicht abgehoben. Das Böse hatte sie hinter sich gelassen. Jetzt war sie wieder dabei, sich in den Schoß der Engel zu begeben.
Claudine legte den Kopf leicht zurück. Ihre Gesichtszüge entspannten sich. Sie sah aus wie jemand, der sich vom Mondlicht bestrahlen ließ, um durch diesen Schein noch mehr Kraft tanken zu können. Die Veränderung kam einem kleinen Wunder gleich. Ihr Glücksgefühl zeigte sich an einem weichen und strahlenden Lächeln.
Claudine Lanson fühlte sich so gut aufgehoben. Sie war in den schützenden Schoß der Engel hineingeglitten, als wären sie alle gemeinsam ihre Mutter.
Die Wesen hielten sich in der Nähe auf. Zu sehen waren sie nicht, nur zu riechen, und diesen wunderbaren Duft musste sie einfach genießen.
Er durchdrang ihren gesamten Körper, es war der herrlichste Nektar, den sie trank und sich ihm hingab.
Rosengeruch umflorte sie. Jasmin schien in voller Blüte zu stehen. Die Engel waren ihr nah, so nah wie selten.
Herrlich, wunderbar… es fehlten Claudine einfach die Worte, um den Zustand beschreiben zu können. Noch immer blickte sie zum Himmel, der seine Dunkelheit zwar nicht verloren hatte, ihr aber vorkam, als hätte er sich geöffnet.
Die positiven Mächte nahmen sie gefangen. Sie waren so nahe, wollten Claudine beschützen in dieser von wundersamen Düften gefüllten Umgebung.
Es wurde heller. Leicht flackernd wie ein fernes Feuer am weiten Horizont. Claudine achtete zuerst nicht darauf, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Dann aber senkte die Frau den Kopf, weil das Licht nicht verschwand.
Ihr Blick fiel nach vorn. Über die Gräber. Auch über die alten Steinkreuze, bis hin zu den dichten Büschen, die dort wie eine dunkle Mauer wuchsen.
Zwischen ihnen und den Kreuzen stand das Licht!
Claudine hielt den Atem an. Was sie da entdeckte, war einfach ungeheuerlich. Zum erstenmal, seit sie sich mit der Engelforschung beschäftigte, war ihr eine derartige Sicht auf ihre Freunde vergönnt.
Engel sind das Licht. Sie bringen das Licht. Sie bringen die Botschaft, und sie zeigten sich auch als Licht. Keine Lampe war eingeschaltet worden, und doch fiel dieser weiche und helle Glanz über die Gräber hinweg. Der Geruch der himmlischen Wesen hatte sich noch verstärkt, so dass er mächtig gegen das Gesicht und den Körper der Frau wehte.
Claudine hatte Mühe, auch diese positive Überraschung zu überwinden. Sie merkte, dass ihre Beine nachgeben wollten. Der Verstand konnte nicht fassen, was sie mit eigenen Augen sah. Immer wieder schüttelte sie den Kopf und stammelte dabei den einen Satz: »Ihr seid da… mein Gott, ihr seid da…«
Die Luft war so hell, so klar. Für Claudine einfach berauschend und überwältigend. Sie erlebte das Wunder und konnte sich daran einfach nicht satt sehen. Am liebsten wäre sie auf die Knie gefallen. Es fiel ihr nicht leicht, normal stehen zu bleiben. Sie hielt die Hände gegeneinander gedrückt und sah dabei aus, als wollte sie beten.
Noch immer war es für sie schwer, den Vorgang zu begreifen. Nie war sie den Engeln so nahe gewesen, und auch niemals zuvor waren sie so nahe an sie herangekommen.
Erst als sich Claudine damit abgefunden hatte, die Wirklichkeit zu erleben und nicht aus ihr herausgerissen worden zu ein, da schaffte sie es endlich, sich auf die Lichtwand hinter den Kindergräbern zu konzentrieren.
Nein, es war keine Wand im eigentlichen Sinne. Claudine nahm die Unterschiede sehr gut wahr.
Die Engel der Kinder hatten sich ihr gezeigt. Jeder Schutzengel stand hinter einem bestimmten Grab, als wäre er ihm zugeteilt worden. Er wirkte wie ein Wächter aus Licht. Ihr kam schon der Vergleich einer Lichtsäule in den Sinn. Das stimmte nicht
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