Das Engelsgrab
Was danach passiert war, hatte ich nicht mehr sehen können, denn da glitten wir abwärts.
Mehr als drei Stockwerke tiefer lag die Straße. Wir würden wie Steine nach unten fallen und mit gebrochenen Knochen liegen bleiben. Ein Überleben war so gut wie ausgeschlossen. Unser gemeinsamer Tod würde die Dämonenwelt jubeln lassen.
Es waren nur Sekunden, die uns blieben. Ich wunderte mich darüber, welch ein Film auf Bildern, Vorstellungen und Erinnerungen in dieser so kurzen Zeit vor meinem geistigen Auge ablief, und ich sah keine Chance, den Fall zu stoppen.
»Achtung, John!«
Sukos Stimme sorgte bei mir für Alarm. Es war ein Signal. Er handelte auch. Mit harten Griffen zwang er meine Arme auseinander. Ich öffnete automatisch meine Beine, machte mich breiter auf dem Weg über das Dach. So konnte ich die Geschwindigkeit etwas verringern.
Suko hatte mich losgelassen. Er rutschte neben mir vorbei. Nicht mit dem Kopf nach unten, was gut war. Wir lagen beide auf dem Bauch und versuchten, das Tempo des Gleitens zu verringern. Jeder Körper sah aus wie ein großes X. Wir wollten Reibung, stoppten auch mit den Schuhen so gut wie möglich, und das Tempo verlangsamte sich tatsächlich.
Dennoch rückte die Dachkante näher.
»Wir packen es nicht, Suko!«
»Dann halt dich an der Dachrinne fest, wenn es geht!«
Ich lachte, obwohl mir nicht danach zumute war. Wie vorgeschoben kam ich mir vor. Das Verhängnis rückte näher und näher. Ich bremste so gut wie möglich, geriet dabei in eine leichte Seitenlage und sah bereits das Dachende.
Suko kippte darüber hinweg.
Es sah schrecklich aus, wie sein Körper verschwand. Ich erwartete den Schrei, der ihn beim Fall in die Tiefe begleitete. Ich konzentrierte mich schon jetzt auf das Geräusch des Aufpralls, dann war ich an der Reihe.
Auf einmal hatten meine Füße keinen Widerstand mehr. Ich hing über und rutschte weiter.
In diesen so gefährlichen Augenblicken hatte ich keine Zeit, um an den Tod zu denken. Ich wollte leben, ich wollte nicht in die Tiefe rasen, und ich dachte an die verdammte Dachrinne, die wirklich eine letzte Rettung war. Das kam schon bald einer Szene aus einem Stummfilm gleich. Dort hatten sich Menschen in ähnlichen Situationen befunden und praktisch zwischen Himmel und Erde gehangen.
Ich kippte langsam, beinahe provozierend langsam. Als hätte das Dunkel unter mir sein gewaltiges Maul aufgerissen, um mich zeitlupenhaft zu verschlingen.
Das Blech war hart. Es drückte in meine Hände, aber es schnitt nicht ein und hinterließ keine Wunden. Die Dachrinne war gefüllt mit Dreck, mit alten Blättern, mit Vogelkot und allem möglichen, was dort einfach nicht hingehörte.
Aber sie war für mich die Rettung. Sie hielt mich. Sie bog sich durch, sie ächzte auch noch nach, so dass ich einen wahnsinnigen Schrecken bekam, aber sie brach nicht ab. Die Verankerungen waren perfekt, zumindest für den Moment.
Meine Beine hingen durch. Es gab nichts, auf das ich meine Füße abstützen konnte. An der Hausmauer fand ich mit den Schuhspitzen ebenfalls keine Stütze, da sie von der Dachrinne her gesehen zu weit entfernt lag.
Mein Herz pumpte wie verrückt. Ich holte keuchend Luft. Das Gesicht war längst schweißnass geworden. Ich musste die Zähne zusammenbeißen. Kraft brauchte ich vor allen Dingen, um mich wieder auf das Dach ziehen zu können.
Die Rinne bewegte sich wieder. Sie sackte sogar leicht ab. Ich hatte dazu nichts getan. Es lag einzig und allein an Suko, der versuchte, sich in die Höhe zu ziehen. Er hing rechts von mir. Aus der Tiefe hörten wir nichts. Keine Stimmen irgendwelcher Neugieriger. Unsere Aktion war nicht gesehen worden.
Ich schaukelte nicht. Bewegungen hätten zu einem Reißen der Rinne führen können.
Suko aber kämpfte weiter. Er war ungemein gelenkig und hatte es schon geschafft, ein Bein in die Höhe zu schwingen. Sogar so weit, dass er sich mit dem Knie auf der Dachrinne abstützen konnte und ein wenig Halt bekommen hatte.
Unsere Blicke trafen sich für einen Moment. Suko nickte. Sein Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck. Aber ich las auch den Willen darin, auf keinen Fall aufzugeben.
Er schaffte es. Plötzlich lag er flach auf dem Dach und parallel zur Rinne. Sein Keuchen floss zu mir hin, und dann schob er sich auf dem Bauch liegend näher.
»Du wirst gleich meine Hand nehmen müssen, John!«
»Okay!«
Ich schielte in die Höhe, noch immer hoffend, dass die Rinne hielt. Sie hatte sich zwar dort durchgebogen, wo ich
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