Das Erbe der Apothekerin - Roman
Johannes’ XXIII.«, stellte Magdalena fest. »Die übrigen Geistlichen und zuletzt die weltlichen Fürsten und Honoratioren schließen sich an.«
Dass alle Teilnehmer des grandiosen Spektakels noch einmal ihre prunkvollsten Kleider aus den Truhen hervorgeholt hatten, verstand sich von selbst, und das tausendfältige »Ah!« und »Oh!« der Konstanzer entlang der Gassen, die der feierliche Zug nahm, war noch in einiger Entfernung zu hören.
Als Kardinal Sabattini stolz an Magdalena vorüberritt, konnte sie es sich nicht verkneifen, ihn auf sich aufmerksam zu machen: »Gott segne Eure Eminenz!«, rief sie ihm laut zu, worauf der hohe Geistliche den Kopf halb umwandte. Magdalena winkte ihm übermütig zu, und er dankte ihr gnädig für den Gruß, indem er lächelte und segnend die Hand in ihre Richtung hob.
»Er ist bestimmt froh, dass ich keine Plaudertasche bin«, dachte die junge Apothekerin und freute sich, dass beide Duellanten sich so gut erholt hatten. Die zwei hatten es auch an Dankbarkeit – in Form zweier wohlgefüllter Geldkatzen – nicht fehlen lassen.
Vetter Julius dirigierte seine Mitbewohner unauffällig ein Stück abseits, weg von den Menschenmassen, wollte er ihnen doch ein weiteres Schauspiel bieten. Über etliche Umwege
durch kaum belebte Gassen und Hausdurchgänge gelangten sie zu einem Platz, den die feierliche Prozession erst viel später erreichen würde.
Auch hier harrte schon eine Menge von Zuschauern aus, aber der Notar und sein Anhang fanden noch Stehplätze mit guter Sicht. Einem weiteren alten Brauch sollte hier Genüge getan werden: An dieser Stelle würden die Konstanzer Juden dem Heiligen Vater die Thorarolle überreichen und zugleich um Bestätigung der Schutzbestimmungen bitten, die frühere Päpste erlassen hatten.
Aus Respekt vor den hohen Herren hatten sich die jüdischen Mitbürger zwar gebührend herausgeputzt, aber mit ihren typischen Hüten, dem gelben Ring auf der Kleidung, den langen Bärten und den Peies, den gedrehten Schläfenlocken der Männer, waren sie sofort als Hebräer zu erkennen.
Allerdings nahm diesmal nicht der Papst die Rolle entgegen, sondern Kaiser Sigismund. Ein wenig von oben herab sagte er: »Die Gesetze Moses’ sind ja recht gut; keiner von uns sollte sie verachten. Ihr aber«, wandte er sich jetzt direkt an die Juden, »Ihr wollt sie nicht verstehen und wollt sie auch nicht befolgen, wie es sich gebührt.«
Magdalena und den anderen Zuschauern entging nicht, dass der Heilige Vater es peinlichst vermied, die Thora zu berühren. Kurz bemerkte Martin V. nur: »Möge Gott, der Herr, die Binde von Euren Augen nehmen, damit sie endlich das Licht erfahren. Gehet hin in Frieden.«
Dankbar und demütig zugleich verneigten sich die Konstanzer Juden. Es wäre blauäugig gewesen, mehr zu erwarten.
Auf dem Heimweg überlegte Magdalena, woran es wohl lag, dass ihr der neue Papst so viel weniger gefiel als der »Seeräuber«. Oddo Colonna war ein hochgewachsener, aristokratisch
erscheinender und gut aussehender Mann – und dennoch! Die junge Apothekerin empfand den kleinen, dicken, wenig attraktiven Baldassare Cossa mit seinem oftmals vulgären Auftreten als den menschlicheren der beiden. Warum dem so war, wusste sie nicht genau.
Ein paar Tage später begegnete Magdalena bei ihrer Rückkehr aus dem Kloster Ser Ernesto Cavallo, dem Sekretär Kardinal Sabattinis.
»Gott zum Gruß, Donna Maddalena!«
Tief zog der italienische Kavalier seinen breitkrempigen Hut vor ihr.
»Auch Euch einen wunderschönen guten Abend«, dankte die junge Frau. »Wie ich sehe, fühlt Ihr Euch wohl. Ich hoffe, dass dies auch auf Euren Herrn, den Kardinal, zutrifft.«
»Leider nein, Donna«, verneinte der Ritter und stieg vom Pferd. »Allerdings kann ich Euch beruhigen. Dieses Mal ist es nur ein hartnäckiger Husten, der Seine Eminenz quält, sowie ein lästiger Katarrh, der nicht verschwinden will.«
»Da hilft am besten ein Aufguss aus getrockneter Flechte. Im Herbst habe ich in der Umgebung von Konstanz, im Wollmatinger Moos, eine Menge davon gesammelt. Ich kann Euch gleich ein Säckchen voll mitgeben, wenn Ihr wollt«, bot Magdalena an.
Aber Ser Ernesto winkte ab.
»Es wäre besser, Ihr würdet gleich zu meinem Herrn mitkommen und ihm persönlich die Arznei bringen. Dann könntet Ihr Euch auch gleich die verheilten Wunden ansehen. Ein paar der Narben haben sich wohl nicht so ganz nach seinem Geschmack entwickelt. Vielleicht wisst Ihr ein Mittel, wie man sie
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