Das Erbe der Apothekerin - Roman
viert. Wer weiß, ob wir im Gebirge immer eine geeignete Herberge finden; nicht selten werden wir im Wagen übernachten müssen. Manche Gasthäuser sind so primitiv, dass sie einer Frau in gesegneten Umständen nicht zuzumuten sind. Andere sind wahre Räuberhöhlen, wo Strolche, Halsabschneider und kriegerisch gesinnte Bergbewohner sich die Klinke in die Hand geben. Möglich, dass man uns für feindliche Habsburg-Anhänger hält und uns sogar angreift. Die Armbrüste habe ich nicht ohne Grund ganz unten unter all den Decken, Kleidern und Kindersachen verstaut! Sie sollen möglichst nicht Banditen in die Augen stechen, falls uns welche überfallen. Die Schurken würden sich die Hände reiben! Mit meinen kleinen Modellkanonen können sie dagegen nichts anfangen. Ich stelle mir vor, dass jeweils zwei Personen im Wagen übernachten – eine davon werdet immer Ihr sein, Magdalena –, während zwei
Mann außerhalb Wache halten. Fast fürchte ich auch, dass die guten Herbergen überfüllt sein werden, denn der Ansturm wegen des Konzils in Konstanz hat bereits begonnen. Eine Menge Teilnehmer machen sich schon jetzt auf den Weg, um in Konstanz die besten Quartiere zu erobern, obwohl es doch erst im November oder Dezember losgehen soll.«
Magdalena, die durch ihre Schwangerschaft noch keinerlei Beschwerden hatte, freute sich fast ein wenig angesichts des bevorstehenden Abenteuers. Sie verfügte über einen gesegneten Appetit, schlief selig wie ein Kind und war die meiste Zeit ausgesprochen optimistisch, dass sich alles zu ihrer Zufriedenheit entwickeln würde.
Als es endlich losging, war sie so froh wie seit langem nicht mehr. Auf Gertrudes Ermahnungen hörte sie nur mit halbem Ohr – was sollte ihr schon passieren?
Sie hatte ja einen ausgezeichneten Beschützer und zwei kräftige Burschen dabei, die nicht zulassen würden, dass ihr ein Leid widerfuhr. Und die Geburt ihres Kindes bereitete ihr noch wenig Kopfzerbrechen. Vielleicht war sie dann längst wieder an einem sicheren Ort – in Ravensburg zusammen mit Konrad? –, und eine erfahrene Wehmutter wie Gertrude würde sich um sie und das Kind kümmern …
Sie war jung, und das ganze Leben schien noch auf sie zu warten.
Nicht nur Magdalena stand einige Aufregung bevor, auch Doktor Julius Zängle, weitläufiger Verwandter der Scheitlins, mit fast vierzig Jahren noch Junggeselle und berühmt als juristische Koryphäe in ganz Oberschwaben, wusste bald nicht mehr, wo ihm der Kopf stand, seit er aus Paris zurück war. Tags zuvor war er erst spät in der Nacht angekommen, weswegen er an diesem Morgen länger als gewöhnlich geschlafen
hatte. Um zehn hatte dann die Magd zaghaft an seine Tür geklopft und hohen Besuch angekündigt – dem er nun mit knurrendem Magen gegenübersaß. Zängle bemühte sich, den Hunger ebenso wie seine leichte Verstimmung über das unangekündigte Auftauchen seines Gastes zu ignorieren. Stattdessen signalisierte er seine Bereitschaft, an der Organisation des Konzils mitzuwirken.
»Natürlich freue ich mich darüber, dass man ausgerechnet meine Vaterstadt Konstanz der großen Würde für wert erachtet, in ihren Mauern eine so bedeutende Kirchenversammlung auf deutschem Boden abzuhalten«, beeilte er sich gerade, seinem Gesprächspartner, dem Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg, kundzutun. Zängle, der sich auch mit Kirchenrecht auskannte und zudem zum Rat der Bischofsstadt gehörte, rechnete sich gute Chancen aus, nicht nur vor, sondern auch während des Konzils mit wichtigen Aufgaben betraut zu werden.
Konrad von Weinsberg war bereits im Frühjahr in der Stadt am Bodensee eingetroffen, um rechtzeitig Vorsorge zu treffen für sämtliche Bedürfnisse seines königlichen Herrn und dessen Begleitung. Man schätzte, dass König Sigismund um Weihnachten herum in Konstanz einträfe. Erst wollte er noch in Aachen seine Krönung vollziehen lassen.
Er glaubte, das würde sein Ansehen – das er ohnehin genoss als derjenige, der Papst Johannes XXIII. dazu genötigt hatte, ein Konzil einzuberufen – bei der hohen Geistlichkeit und den weltlichen Herrschern noch stärken.
Alle lobten den deutschen König für die Forderung eines Konzils – außer den drei Heiligen Vätern natürlich! Die Stellvertreter Christi auf Erden sahen nämlich keineswegs so recht ein, dass man diesen im Grunde unhaltbaren Zustand nicht weiterhin beibehalten könne. In der Stadt Konstanz
und ihrer Umgebung wurden Wetten darüber abgeschlossen, ob überhaupt einer der
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