Das Erbe der Apothekerin - Roman
»Ich hoffe, Ihr und Eure Begleiterin habt Euch nicht allzu sehr gestört gefühlt.«
Dazu sagte der junge Mann lieber gar nichts – was nützte es auch jetzt noch? Er zuckte mit den Achseln. »Könnten wir dann sofort das Frühmahl für vier Personen haben?« Mit diesen Worten wandte er sich ab, um im Stall nach seinen Knechten zu sehen, die einen sehr tiefen Schlaf zu haben schienen.
»He! Wo ist Matthis?«, fragte er gleich darauf Utz, der herzhaft gähnte und sich die Augen rieb.
»Wird wohl auf dem Abtritt sein, Herr«, gab dieser gleichmütig zur Antwort, ehe er erneut den Mund zu einem gewaltigen Gähnen aufriss.
»Kommt in die Gaststube zur Morgensuppe, ihr beiden.
Ich wecke jetzt meine Base auf, denn wir wollen so bald wie möglich weiterziehen.«
»Schon gut, Herr.« Auch Utz verzog sich hinter die Stallungen in Richtung der Latrinen.
Wenn es nach Magdalena gegangen wäre, hätten sie auf den morgendlichen Imbiss verzichtet, aber Rolf bestand darauf, dass »ordentlich« gegessen wurde. Der heutige Tag würde ihnen einiges abverlangen: Der Weg war angeblich kurvenreich, teilweise sehr steil, holprig und schwer zu bewältigen.
Warum der junge Mann ihn trotzdem gewählt hatte, lag an der Überlegung, bei so schlechten Straßenverhältnissen wären dort wohl auch keine Banditen unterwegs, die ihnen gefährlich werden konnten. Diese Kerle bevorzugten – wie alle Reisenden – normalerweise die bequemeren Wege und Übergänge.
Rolf war auch bereit, Umwege in Kauf zu nehmen, wenn die Route die Aussicht bot, ohne unliebsame Begegnungen voranzukommen. Er legte keinen Wert darauf, von kämpfenden Eidgenossen, sie verfolgenden habsburgischen Söldnern, Wegelagerern oder wallfahrenden Pilgergruppen aufgehalten zu werden.
Gerade letztere konnten ebenfalls recht lästig sein, wenn sie sich auf den ohnehin schmalen Wegen breitmachten und Reiter und Fuhrwerke zwangen, ihren monoton Gebete murmelnden und Psalmen singenden Mitgliedern hinterherzutrotten, weil sie nicht bereit waren, eilige Reisende vorbeizulassen.
Rolf und die junge Frau saßen bereits in der Gaststube, jeder eine Schüssel mit gezuckertem, mit flüssiger brauner Butter übergossenem Weizenbrei mit Weinbeeren und eine
Kanne Dünnbier vor sich, als Utz mit gerötetem Gesicht auftauchte. Sein Herr schaute auf.
»Was ist jetzt mit Matthis? Hat er den Dünnpfiff, oder was?«
»Herr, ich kann den Matthis nirgends finden. Auf der Latrine war er nicht und im Stall bei den Viechern hat ihn auch keiner gesehen. Ich weiß nimmer, wo ich suchen soll!«
»Wo habt ihr Burschen euch denn gestern den ganzen lieben langen Tag herumgetrieben? Ist er überhaupt mit dir zusammen heimgekommen?«, wollte Rolf, der allmählich ungnädig klang, wissen. Solange Matthis fehlte, konnten sie auch nicht losfahren. Das kostete wiederum Zeit und war mehr als ärgerlich.
»Womöglich liegt er noch bei dem Mensch, das uns gestern Abend zu sich eingeladen hat, und schläft bei ihr seinen Rausch aus«, murmelte Utz mit verlegenem Blick auf Magdalena und errötete noch mehr.
»Was? Ihr seid beide mit einer Hübschlerin mitgegangen und habt euch vollgesoffen? Ihr seid wohl nicht ganz bei Trost! Da werde ich wohl heute besser den Platz auf dem Kutschbock einnehmen«, kündigte Rolf düster an. »Aber jetzt sei so gut und verschwinde dahin, wo ihr zwei gestern Nacht gehurt und gesoffen habt, und schaff mir den Matthis her, aber schnell!«
»Das war in keinem Hurenhaus, Herr. Die Frau ist eine Magd und …«, fing der junge Kerl an, sich zu rechtfertigen, aber sein Herr unterbrach ihn: »Was schert’s mich? Hoffentlich hat sich das Mitgehen für euch auch gelohnt. Euren Brummschädel habt ihr allerdings allein auszuhalten. Mir ist nur wichtig, dass wir in einer halben Stunde abfahrbereit sind.«
Utz drehte sich auf dem Absatz um und verschwand. Rolf fasste Magdalena ins Auge. Er bemerkte, dass sie sich Sorgen
machte, zu spät auf der Landstraße zu sein und wiederum Zeit zu verlieren – kostbare Zeit, die verstreichen würde, ohne dass sie ihren geliebten Konrad endlich einholte.
Er fasste nach der schmalen Hand des Mädchens. Die dunklen Ringe unter ihren Augen bezeugten, welch eine schlechte Nacht auch sie hinter sich hatte – und das vermutlich nicht nur aufgrund des Krakeelens der »gelehrten Herren« bis zum Morgengrauen. Vorsichtig drückte er ihre Hand.
»Sei nicht zu ungeduldig. Ich verspreche dir, wir holen die Zeit leicht ein. Ich werde heute kutschieren und
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