Das Erbe der Apothekerin - Roman
Schoß sich regen spürte, hoffte, dass alle wenigstens den Rest dieser Nacht noch ungestört verbringen konnten. Und morgen? Ja, morgen würde man weitersehen …
»Sechs Hände – mindestens – könnte ich derzeit brauchen«, stöhnte Dr. Julius Zängle. Allmählich drohten ihm die Aufgaben über den Kopf zu wachsen. Flink wie ein Wiesel rannte
er Tag für Tag in Konstanz hin und her. Es lohnte sich meist nicht, ein Pferd zu nehmen, denn alle paar Augenblicke musste er ohnehin absteigen, um nach dem Rechten zu sehen.
Am meisten beschäftigte ihn die Beschaffung geeigneter Quartiere. Er hatte es inzwischen dahin gebracht, sich einen ungefähren Überblick über die zu erwartende Anzahl der Gäste und ihre vermutliche Verweildauer beim Konzil zu verschaffen. Freilich konnten ihm alle möglichen Umstände einen Strich durch die Rechnung machen; daher berechnete er alles Erforderliche recht großzügig. Aber er wusste auch: Der Teufel steckte immer im Detail …
Mittlerweile ging er von einem Heiligen Vater aus – nur Johannes XXIII. hatte sich bisher in der Stadt angekündigt –, ferner von drei Patriarchen, neunundzwanzig Kardinälen, dreiunddreißig Erzbischöfen sowie dreihundert Bischöfen, hinzu kämen noch die weltlichen Würdenträger.
»Allein der habsburgische Herzog von Tirol wird mit seinem Gefolge etwa sechshundert Pferde mitbringen und die entsprechende Anzahl an Stallburschen«, beklagte sich Julius bei einem der Stadtväter, der versucht hatte, die Aufgabe Zängles herunterzuspielen. »Von den Huren will ich gar nicht reden! In Scharen werden sie in Konstanz einfallen, weil sie sich glänzende Geschäfte versprechen. Ich rechne im Minimum mit achthundert Hübschlerinnen, es können aber genauso gut tausendfünfhundert werden!«
»Oh! Meint Ihr nicht, dass Ihr da etwas übertreibt?« Der Ratsherr, Simon Dammert, ein schwerreicher, etwas behäbiger Mann, der sein Vermögen mit dem Handel von Leinwand, Gewürzen und Färbemitteln gemacht hatte, schien nun doch etwas erschrocken.
»Ich fürchte, nein.« Der Jurist Zängle wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Der Tag versprach wiederum ein glühend heißer zu werden, und er fühlte bereits um neun Uhr vormittags, wie ihm der juckende Schweiß unter Hemd, Wams und Überrock über Brust und Rücken rann.
Es ging ihm wie allen anderen auch: Jedermann schwitzte und dampfte, und wo sich Menschenansammlungen bildeten, war die Luft alsbald von unangenehmem Schweißgeruch erfüllt. Die Kleider der Leute waren aus viel zu dicken Stoffen gefertigt, außerdem trug man für gewöhnlich mehrere Schichten übereinander. Das Haus des Ratsherrn, in dessen Salon sie beisammensaßen, hatte sich inzwischen auch gehörig erwärmt, da selbst die Nächte keine rechte Abkühlung mehr boten. Die Luft in dem großzügig geschnittenen Anwesen war stickig, und es war fast noch unerträglicher als draußen in der Morgensonne.
Zängle seufzte. »Diese Hitze!«
»Weiß Gott, ja!« Ratsherr Dammert ächzte ebenfalls. »Aber Ihr habt wenigstens den Vorteil, schlank zu sein. Mich wärmt meine Speckschicht doppelt. Da lob’ ich mir die heidnischen Schwarzen in Afrika: Die laufen durch die Gegend, wie Gott der Herr sie geschaffen hat – ohne zu schwitzen.«
»Wahrscheinlich. Aber, im Vertrauen: Möchtet Ihr ein armer, verlorener Heide sein?« Zängle lachte. »Dann doch lieber heute unter dem bisschen Hitze leiden, als einst im ewigen Höllenfeuer schmoren, oder?« Simon Dammert nickte ergeben, ehe sie sich wieder der Unterbringung der zu erwartenden Gäste zuwandten.
»Wie ich es sehe«, gestand Julius Zängle, »wird es sich nicht vermeiden lassen, die Teilnehmer am Konzil auch auf die umliegenden Orte zu verteilen. Ich habe vorsichtshalber Räumlichkeiten
bis Überlingen angemietet. Reitknechte und anderes niederes Volk werden im Stroh schlafen müssen, unter den Häusertreppen, auf Dachböden und bei den Pferden.«
Inzwischen gesellte sich ein weiterer Rat der Stadt, Dominikus Läpple, ein Meister der Steinmetzzunft, zu den beiden. »Wie man hört, Doktor, habt Ihr die Stadtknechte einem Ritter Bodman als Marschall unterstellt? Das mag in Euren Augen zwar recht und gut sein, aber es erscheint mir doch ein wenig sehr eigenmächtig, findet Ihr nicht?«
Sein Kollege und der Notar schauten ihn fragend an.
»Wie meint Ihr das?«, erkundigte sich Julius verblüfft. »Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Herr von Bodman ist ein guter Christ und
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