Das Erbe der Apothekerin - Roman
gründlich und stellte im Stillen fest, dass er ihm auf gar keinen Fall das Wasser reichen konnte. Der Bursche hatte studiert, war umfassend gebildet, und seine Kenntnisse reichten weit über das hinaus, was Scheitlin jemals über Krankheiten, Arzneien und Behandlungsmethoden gehört hatte.
Das störte Mauritz jedoch keineswegs, denn das war genau das, was er gesucht hatte. Er hatte nämlich nicht vor, sich persönlich noch einmal in die Apotheke zu stellen; der deutliche Anpfiff des Ortsvorstehers Jodok Finsterwald reichte ihm völlig. Sollte ihm nur noch ein einziger Fehler unterlaufen, dann nähme die Stadt ihm die Apotheke weg – das konnte und wollte er nicht riskieren.
Scheitlin versuchte zwar, mit seiner gewohnten Bauernschläue den anderen im Lohn zu drücken, aber Wendelin Traugott, genannt »Wenz«, war auch in dieser Sache kein Anfänger, sondern verhandelte hart und geschickt. Hatte er doch während der Unterhaltung seinerseits schnell begriffen, dass sein künftiger Arbeitgeber weniger als nichts von der Materie verstand.
Zähneknirschend sagte Magdalenas Vormund ihm schließlich alles zu, was der junge Mann verlangte. Zu einem höchst anständigen Gehalt bat er sich zu jedem Dreikönigsfest ein Paar neue Stiefel, warme Hosen und einen wollenen Überrock aus. Kaum hatte Mauritz grämlich genickt, schob Wenz umgehend noch die Forderung nach, an Ostern jeweils zwei Hemden und neue Sandalen zu erhalten.
»Und außerdem einen langen grauen Apothekerkittel.
Meiner ist mir im Laufe der Jahre zu eng geworden«, grinste er fröhlich.
Mauritz lag schon auf der Zunge: »Dann solltet Ihr halt weniger fressen!«, aber er hielt sich gerade noch zurück. Er konnte es sich einfach nicht leisten, diesen Prachtburschen wieder vom Haken zu lassen. Um sich den Anschein zu geben, er täte Wendelin Traugott einen Gefallen, behauptete er großspurig, dass er noch viele andere gute Bewerber habe und sich erst in Ravensburg würde entscheiden können.
»Aber Ihr könnt mit mir kommen und Euch meine Apotheke immerhin schon einmal ansehen«, gestattete er gnädig.
»Das ist sowieso meine Vorbedingung«, entgegnete Wenz ganz kühl. »Ich würde niemals endgültig zusagen, ohne meinen künftigen Arbeitsplatz vorher genau inspiziert zu haben. Ich muss doch erst prüfen, ob die Ausstattung meinen Vorstellungen entspricht, ob genügend Arzneivorräte vorhanden sind, wie der Nachschub geregelt ist und ob die Apothekengewichte in Ordnung sind. Und nicht zuletzt müsste die Frage meiner Unterkunft auch noch erörtert werden. Ich stelle mir zwei Kammern mit eigenem Abtritt im Obergeschoß der Apotheke vor.«
»Wieso gleich zwei?«, verlangte Scheitlin ein wenig ärgerlich zu wissen. »Für eine Person reicht doch gewiss ein Zimmer, und den Abort könnt Ihr Euch ruhig mit jemandem teilen. «
»Und was ist, wenn ich heiraten möchte?«, entgegnete der junge Mann schlagfertig. Beinahe wäre Mauritz doch noch der Kragen geplatzt, aber er hielt sich zurück. Dem Bürschchen würde er zur rechten Zeit schon noch zeigen, wer der Herr im Haus war …
Dennoch war er bei seiner Rückkehr nach Ravensburg in bester Laune, denn der Bader und ehemalige »Dreckapotheker«
Scheitlin war überglücklich, die Verantwortung endlich los zu sein. Hatte er doch schon Schwierigkeiten, die Rezepte, welche die Herren Doctores Medicinae ausstellten, überhaupt zu lesen …
Zur Entzifferung dieser Verordnungen war nicht nur die Kenntnis der gebräuchlichen Medizinalgewichte sondern auch der Rezepturbezeichnungen erforderlich. Bei letzteren haperte es bei ihm ungemein. Es hatte ihn immer schon geärgert, dass seine Nichte Magdalena damit keine Schwierigkeiten hatte.
Als er noch mit dem Bauchladen voller »Gesundheitswässerchen« und obskurer Pülverchen durch die Lande zog, hatte es genügt, als Maßeinheit Löffel, halbe Löffel, Messerspitzen oder »Prisen« – die kleine Menge zwischen Daumen und Zeigefinger – zu gebrauchen.
Er wusste gerade noch, dass das Medizinalpfund – abgekürzt lb von libra – 360 Gramm wog und in 12 Unzen aufgeteilt wurde. Demnach wog eine Unze 30 Gramm. Wenn es ganz wenig sein sollte, war er noch imstande, eine halbe Unze, also 15 Gramm, abzumessen. Aber das war es dann auch schon.
Davon, dass die Unze acht Drachmen oder »Quäntchen« enthielt, hatte er nicht den Hauch einer Ahnung. Und gar, dass die Drachme 3,75 Gramm wog oder drei Skrupel, von denen jedes wiederum 1,25 Gramm auf die Apothekerwaage brachte, davon
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