Das Erbe der Apothekerin - Roman
Fuhrwerk zurückkehrten.
Magdalena lachte bitter auf.
»Ja, und so wie man beschwichtigend den Tod als ›Freund Hein‹ bezeichnet, nennt man die Aussätzigen ›Gutleut‹. Mein Vater hat immer bedauert, dass er ihnen nicht helfen konnte; es gibt kein Heilmittel, obwohl manche Ärzte das unsinnigste Zeug empfehlen, darunter das Fleisch von giftigen Ottern, sowie Wein, in dem sie lebende Vipern gesotten haben.«
»Ich kenne einen noch viel schrecklicheren Aberglauben«, sagte Rolf und blickte in ihr blasses Gesicht. »In der Legende vom heiligen Sylvester erfahren wir über die Mieselsucht Kaiser Konstantins, die durch ein Bad im Blut unschuldiger Kinder geheilt werden sollte. Man glaubte zudem – und viele tun es jetzt noch, wie wir gerade gehört haben –, dass die Krankheit eine gerechte Strafe Gottes dafür ist, wenn ein Mann mit einer Frau verkehrt, die ihre Reinigung hat.«
Magdalena dachte unwillkürlich an die Worte ihres Vaters: »Während die Frau menstruiert, kann sie den Samen ihres Mannes empfangen, ohne schwanger zu werden. Es sind
dies die einzigen Tage im Monat, an denen sie geschlechtlichen Umgang haben kann, ohne eine Empfängnis befürchten zu müssen. Deshalb verbietet die Kirche auch das eheliche Beisammensein zu diesem Zeitpunkt und sorgt dafür, dass allerhand Schauermärchen über das giftige Menstruationsblut verbreitet werden.«
Aber sie hatte nicht vor, mit ihrem Vetter über so intime Details des Frauenlebens zu sprechen. Sie schüttelte sich.
»Lass uns von etwas anderem sprechen«, bat sie. »Ich fürchte, ich werde heute Nacht sowieso von diesem armen Menschen träumen, dem sie gerade die Totenmesse gelesen haben.«
»Was nützt dem bedauernswerten Kerl jetzt sein adliger Stammbaum, sein ganzes Geld, sein hohes Ansehen? Verachtet, ausgestoßen und verbannt ist er, wie alle seine Leidensgenossen«, äußerte gedankenschwer der Unfreie Utz. »Da bin ich lieber Knecht, aber gesund.«
Er schwang sich auf den Sitz, um das Gespann wieder voranzutreiben. Über einen halben Tag hatten sie bereits verloren; auch heute würden sie Konrad Grießhaber kaum einholen.
KAPITEL 19
DIE DARAUFFOLGENDE NACHT war überaus unbequem. Durch die Verzögerung mit dem Aussätzigen und aufgrund des immer noch andauernden Regenwetters, das den Weg schlüpfrig und gefährlich machte, fanden sie vor Einbruch der Dunkelheit keine Herberge. An einem einzigen Wirtshaus waren sie vor etwa einer Stunde vorbeigekommen.
»Komm mit, Lena, und schau dir den Wirt an, ob du dich ihm für eine Nacht anvertrauen willst«, forderte Rolf seine Base auf. Aber der Wirt und seine verwahrlosten Knechte machten einen so abstoßenden Eindruck auf Magdalena, dass sie heftig den Kopf schüttelte. Worauf der junge Schmied mit ihr umkehrte und erneut auf den Wagen kletterte.
»Ich glaube, es ist am besten, Vetter, wenn wir für diese Nacht unter einem Baum Zuflucht suchen und dort die dunklen Stunden abwarten«, schlug das Mädchen vor.
»Ich wollte gerade dasselbe vorschlagen, Base. Es ist bald finster, und wir sollten nicht riskieren, dass sich eines der Maultiere ein Bein bricht. Halt an, Utz! Dort drüben auf der Wiese unter der Buche werden wir Rast machen. Wir wollen hoffen, dass uns morgen besseres Reisewetter beschert ist – dann haben wir auch Aussicht, Konrad Grießhaber endlich zu treffen. Unter diesen Umständen wird auch er mit seiner noch geschwächten Ehefrau längst irgendwo Einkehr halten, um ihre Gesundheit nicht erneut zu gefährden.«
Magdalena sagte kein Wort dazu. Einerseits war sie zu müde, andererseits hatte sie allmählich die Hoffnung nahezu aufgegeben, Konrad überhaupt jemals einzuholen. Es kam ihr mittlerweile so vor, als sollte sie ihr ganzes weiteres Leben hinter ihm herlaufen, ohne ihn jemals zu erreichen. Aus tausenderlei Gründen war und blieb er ihr immer einen oder zwei Tage voraus …
Utz spannte die Maulesel aus, band ihnen jedoch die Hinterbeine zusammen, um sie am Davonlaufen zu hindern. Sie sollten im Umkreis ihrer Lagerstätte bleiben und sich am Gras, das auf der Lichtung wuchs, satt fressen. Der Wagen mitsamt seiner Ladung stand einigermaßen trocken unter dem dichten Geäst der alten Buche, und sein Eigentümer
hoffte, dass sie eine leidlich ungestörte Nacht vor sich hätten.
Nachdem man etwas Brot und gedörrtes Rindfleisch verzehrt hatte – die Männer überdies »Krumme Krapfen«, Teigwürste aus Mehl, geriebenem Hartkäse und Eiern, gewürzt mit Salz und dem
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