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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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immer im Kloster. Bei den Bewohnern von Castasegna waren nämlich merkwürdige Fälle von Besessenheit aufgetreten. Die davon Befallenen zeigten Symptome der Tanzwut. Die Kirche sah im Allgemeinen in diesen »Tänzen« – merkwürdigen Verrenkungen, Drehungen und Schüttelkrämpfen – eine Sünde. Hatte doch schon der heilige Augustinus den Christen Tänze bei Kulthandlungen als heidnisches Beiwerk verboten …
    Bruder Johannes wusste, dass dieses unheimliche Übel, auch »Veitstanz« genannt, seit dem 13. Jahrhundert den Charakter einer Volksplage angenommen hatte, während es in den vorhergehenden Jahrhunderten nur jeweils einzelne Individuen befallen hatte.
    »Jetzt verhält es sich so, dass ein unter Veitstanz Leidender eine ganze Gemeinde ansteckt und zum Schluss alle miteinander seine grotesken Bewegungen nachahmen und so lange tanzen, bis sie vor Erschöpfung umfallen. Manche treiben den Unfug sogar bis zum Tod. Unser Vater Prior hält dieses
Tanzen nach wie vor für ein Zeichen teuflischer Besessenheit; aber es gibt auch andere Ansichten. Manche sagen, diese Tobsucht habe keineswegs sündhaften Charakter, sondern zeige im Gegenteil mystische Versenkung in die göttliche Liebe.«
    »Und was glaubt Ihr, Frater Johannes?«, erkundigte sich Magdalena neugierig. Der junge Mönch schien ein wenig verlegen. Scheu blickte er sich um.
    »Nun ja! Ich muss dabei immer an die Stelle im Alten Testament denken, wo uns von König David berichtet wird, der vor der heiligen Bundeslade getanzt hat. Er war gewiss weder krank noch vom Teufel besessen …« Unwillkürlich hatte der Medicus seine Stimme gesenkt.
    »Merkwürdig ist allerdings, dass zur Zeit der Schlimmen Seuche in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Menschen von der Tanzwut befallen wurden. Aus der deutschen Stadt Limburg ist uns aus dem Jahre 1374 eine absonderliche Begebenheit bekanntgeworden: Am Rhein und an der Mosel fingen Leute an zu tanzen und zu rasen. Männer, Frauen und Kinder tanzten stundenlang auf Straßen und Plätzen so lange im Kreis herum, bis eine Ekstase sie erfasste und sie in ihren Visionen den Himmel offen wähnten. Sie tanzten weiter, bis Schaum aus ihren Mündern trat und sie ohnmächtig oder gar tot zu Boden sanken. Nachdem es wiederholt zu derartigen Ausbrüchen gekommen ist, war man bestrebt, Reliquien des heiligen Veit zu erlangen, der als Schutzpatron der Tanzwütigen gilt. König Sigismunds Vater, Kaiser Karl IV., ließ für die Gebeine des 1355 nach Prag verbrachten sizilianischen Heiligen Vitus eigens den Sankt-Veits-Dom errichten.«
    »In meiner Heimatstadt Ravensburg gibt es auf einem nach dem heiligen Veit benannten Hügel eine Kapelle, in
der sich alljährlich eine große Schar von Heilung suchenden Tänzern zu versammeln pflegt. Der Zulauf ist bisher ungebrochen«, konnte auch Magdalena zum selben Thema etwas beisteuern. »Aber unser Stadtpfarrer sagte immer, er vermute, dass sich auch zahlreiche vagabundierende Veitstänzer, also gemeine Schwindler, darunter befänden, die den Zwang zu tanzen nur vortäuschten, um schnöde Bettelei zu betreiben.«
    »So etwas Ähnliches kennen wir leider auch. Weiter unten, im Süden von Italien, glauben die Leute, wenn sie von einer Spinne namens Tarantula gebissen werden, dass ihr Gift sie zwinge, wild herumzuhopsen. Wenn einer damit anfängt, machen die Umstehenden mit, und nach einer Weile tanzt das gesamte Dorf – obwohl nur einer den Stich abbekommen hat.«
    Magdalena mutmaßte von Anfang an, dass auch in Castasegna die allgemeine Tobsucht wohl kaum auf eine Seuche und auch nicht auf das Wirken des Teufels zurückzuführen wäre. Fast verärgert darüber, dass dieser Zwischenfall ihre Rückreise nach Konstanz erneut verzögerte, sah sie sich die Befallenen erst einmal genauer an.
    Sie ließ sich weder von dem wilden Herumfuchteln ihrer Arme, dem ziellosen Schlenkern ihrer Beine oder dem beängstigenden Verdrehen ihrer Augäpfel beeindrucken. Stattdessen suchte sie den Klosterschmied in seiner Werkstatt auf und bat ihn um einen besonderen Gefallen.
    Dieser, ein bärenstarker Mann aus dem Wallis, der die Pferde und Maulesel des Klosters und der umliegenden Bauern beschlug, grinste breit. Er begriff augenblicklich, was Donna Lena vorhatte.
    Kurz darauf tauchten sie und der mächtige Schmiedemeister, der Lederschurz, Lederhandschuhe und eine Kappe
trug, bei den »Tanzenden« auf, wobei letzterer auf einer Steinplatte ein Stück rot glühendes Eisen präsentierte. Einen kurzen

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