Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
die Hofeinfahrt besser zu überblicken war.
»Wieso habt ihr nicht längst einen neuen Wachhund angeschafft?«, wollte Johann von Cuntz wissen. »Ich meine, letztes Jahr, als …« Er hielt inne, von plötzlicher Scheu erfüllt.
Cuntz wiegte den Kopf. »Wir hatten einen, ich selbst habe ihn nach Konrads Tod besorgt, aber der hat den alten Spitz gebissen, also musste er wieder weg, Madlen wollte das nicht dulden. Deshalb haben wir uns andere Schutzmaßnahmen überlegt. Beispielsweise haben wir Stricke mit kleinen Glocken über den Hof gespannt. Darüber stolperte dann Berni, weil er im Schlaf umherlief. Irmla hatte eine Weile leere Blechschüsseln vor der Hintertür stehen, über die ich ein paarmal gefallen bin und einen Höllenlärm veranstaltet habe. Also haben wir das bald wieder sein gelassen. Wir haben stattdessen alle Türen und Läden verriegelt und verrammelt. Irgendwann wurde jedoch die Angst weniger und wir selbst nachlässiger. Was wohl ein Fehler war. Oder ein Segen, denn wie hätten wir sonst weiterleben können? Wie hätte sie weiterleben können?« Er blickte in den hinteren Teil des Gartens, wo Madlen damit beschäftigt war, ein Bäumchen einzupflanzen.
»Ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas geschieht«, sagte Johann.
»Ich weiß«, antwortete Cuntz.
Es war ein warmer Tag, Madlen hatte das Obergewand abgelegt und den Leinenkittel hochgebunden, sodass ihre Beine vom Knie abwärts zu sehen waren. Ihr Gebende machte sich auch schon wieder selbstständig. Madlen zog den Spaten aus der Erde, hielt ihn mit einer Hand fest und zerrte mit der anderen ungeduldig an der Kopfbedeckung, bis sie alles gelöst hatte. Nachlässig hängte sie das baumelnde Leinengebilde über den Zaun. Der locker geflochtene Zopf fiel ihr über die Brust, und rund um ihre Stirn standen zerzauste Löckchen ab, die vom Wind bewegt wurden, während sie sich bückte, um mit dem Graben fortzufahren. Johann konnte kaum den Blick von ihr wenden. Er merkte, dass der Alte ihn von der Seite beobachtete, doch auch das hielt ihn nicht davon ab, Madlen zu betrachten. Er hatte sich getreulich an sein Versprechen gehalten und war ihr nicht mehr nahegekommen, auch wenn es ihn einige Anstrengung gekostet hatte, von der er jeden Tag mehr statt weniger aufbringen musste. Am ärgsten war es bei den Unterrichtsstunden, die immer noch täglich stattfanden. Derzeit blieb die Schänke wegen der Karwoche ganz geschlossen, weshalb der Unterricht bis zu vier Stunden in Anspruch nahm. Madlen war in ihrer Wissbegier nahezu unersättlich, und sie lernte mit einer Geschwindigkeit, die ihn immer wieder verblüffte, zumindest in den Augenblicken, in denen er nicht vollauf damit beschäftigt war, sein Verlangen im Zaum zu halten.
Caspar kam aus dem Sudhaus, ein fröhliches Pfeifen auf den Lippen. Auch er war wegen der Wärme leicht bekleidet. Die Beinlinge hatte er nachlässig angenestelt, die Hemdzipfel hochgebunden. Das kinnlange Haar hatte er hinter die Ohren gestrichen. Er rollte ein volles Bierfass vor sich her, in Richtung Keller. Sein Pfeifen verstummte mit einem Misston, als Johann ihm in den Weg trat.
»Warte. Ich habe doch gesagt, dass die Fässer so wenig wie möglich durchgerüttelt werden sollen. Es ist für das Bier nicht gut, und für das Fass auch nicht.« Johann bückte sich und stemmte das Fass mit einiger Mühe auf seine Schulter. Es war ziemlich schwer, aber nicht zu schwer, um es zu tragen. Dass Caspar das allem Anschein nach anders sah, bemerkte er erst, als der Knecht ihn mit Seitenblicken bedachte, die weniger auf Dankbarkeit als auf Verdruss hindeuteten. Johann achtete nicht weiter darauf. Nach seinem Dafürhalten erging sich das Gesinde allzu häufig in Empfindsamkeiten, die weder der Arbeit noch dem Hausfrieden zuträglich waren. Mochte Madlen auch glauben, hart genug durchzugreifen, so nützte ihr häufiges Schimpfen in Wahrheit nur wenig. Sie wurde einfach nicht ernst genommen, denn sie hatte ein allzu weiches Herz. Richtige Strafen hatte hier niemand zu befürchten, und das wussten alle ganz genau.
Johann ignorierte die Schmerzen in seiner Schulter. Der Schlag, den der nächtliche Eindringling ihm verpasst hatte, war bei solchen Arbeiten immer noch deutlich zu spüren, auch wenn die Schwellung abgeklungen war und die blauschwarze Verfärbung bereits verblasste. Er schleppte das Fass in den Keller und deponierte es an der Wand. Bei der Gelegenheit sammelte er ein paar Mausefallen ein, holte die Kadaver heraus und brachte neue
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