Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
einen Moment aus dem Konzept brachte und die Zahlen in ihrem Kopf durcheinanderpurzeln ließ.
Schließlich war es Zeit für das Vespermahl. Irmla tischte ein letztes Mal vor dem Osterfest ein Fastengericht auf, Linseneintopf und Brot, doch Johann hatte bereits angefangen, das Essen für den morgigen Tag vorzubereiten. Er hatte ein Huhn in Wein eingelegt, einen Lammrücken mit Speck umwickelt und in abgedeckten Schüsseln geheimnisvolle Zutaten für eine Süßspeise bereitgestellt.
Caspar und die Jungen kamen aus dem Brauhaus zum Essen herüber und setzten sich mit an den Tisch. Es kam Madlen so vor, als habe Caspar sich wieder gefangen, er machte während des Essens sogar die eine oder andere scherzhafte Bemerkung. Nur Willi sah verdrossen drein. Er hatte sich erhofft, die Ostertage mit seiner Familie verbringen zu dürfen, doch sein Vater hatte ihm die Tür gewiesen – für einen zusätzlichen Kostgänger sei bei ihm kein Platz. Es hatte Madlen ins Herz geschnitten, als Willi davon erzählte, und sie hatte ihm zum Trost ein paar kleinere Münzen zugesteckt, damit er sich eine Süßigkeit kaufen konnte. Die unverhoffte Gabe hatte ihn nicht gerade froh gestimmt, aber wenigstens hatte er nicht mehr ganz so niedergeschlagen gewirkt. Zwar waren Jungen, die zur Lehre weggegeben wurden, damit endgültig aus dem Haus und bis zum Ende ihrer Gesellenzeit dem Lehrherrn unterstellt; dieser hatte sie bei sich unterzubringen und zu beköstigen. Doch Madlen erschien das Verhalten von Willis Vater hartherzig und lieblos. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass Willi vielleicht deshalb so aufsässig und unzufrieden geworden war, im Gegensatz zu Berni, dessen Eltern zwar bitterarm waren, aber ihren Sohn von Herzen liebten und ihn jederzeit willkommen hießen. Das Festessen wollte Berni morgen noch hier genießen, danach durfte er heim zu seiner Familie.
Nach dem Abendessen blieben sie alle noch eine Weile am Tisch sitzen. Die Läden standen weit offen, ein lauer Frühlingswind drang in die Stube und vertrieb den Geruch nach Eintopf und Herdasche. Eine friedliche Stille erfüllte den Raum. Madlen stützte das Kinn auf ihre verschränkten Hände und blickte in die Runde. Alle schienen sich wohlzufühlen, es war einer dieser kostbaren, seltenen Augenblicke, die man gern festgehalten hätte, in dem Wissen, dass das Leben sie nur in begrenzter Anzahl bereithielt.
Schließlich trug Irmla die leeren Schalen und Becher ab, und Caspar und die Jungen zogen sich ins Sudhaus zurück. Johann begleitete Veit zu seiner Unterkunft, so wie er es jeden Abend tat.
»Lass uns noch ein wenig draußen bleiben«, schlug Veit vor. »Es ist so ein angenehmer Abend.«
Johann hatte nichts dagegen. Er führte Veit in den hinteren Teil des Gartens, wo die Weinreben und die Obstbäume wuchsen. Der große Pflaumenbaum stand bereits in voller Blüte, und auch die Knospen des Apfelbaums hatten sich schon zartrosa verfärbt. Die beiden Kirschbäume strotzten nur so von Knospen, hier würde die Blütenpracht in wenigen Wochen folgen. Im mattgoldenen Licht der untergehenden Sonne bot sich dem Betrachter ein Bild von verwunschener Schönheit, und es tat Johann in der Seele weh, dass sein Freund es nicht sehen konnte. Doch Veit genoss die Umgebung auf seine Weise. Er hob das Gesicht dem Licht entgegen, er roch den Duft der Blüten und der satten, dunklen Erde, lauschte dem entfernten Lachen eines Kindes und tastete sich dabei den Zaun entlang, bis er die Stelle gefunden hatte, die er suchte. Johann hatte dort aus zwei alten Fässern und einem Brett in einer windgeschützten Ecke zwischen Zaun und Bäumen eine Bank errichtet, auf der Veit sitzen konnte, wenn es ihn nach draußen zog. Dort konnte er ganz für sich sein.
Johann lehnte sich gegen den Stamm des Apfelbaums und beobachtete Veit, der den Kopf zurückgelegt hatte, um die letzten Sonnenstrahlen genießen zu können.
»Geht es dir gut?«, erkundigte er sich. Die Frage war ihm einfach herausgerutscht, doch bereits während er sie stellte, erkannte er, wie ungeheuer wichtig ihm die Antwort war, viel wichtiger als sonst, obwohl er keine Ahnung hatte, warum das so war.
Veit wandte sich ihm zu. »Gibt es daran einen Zweifel? Schau in die Vergangenheit, bis hin zu Al-Mansura. Fällt dir auch nur ein einziger Tag ein, an dem du mich so zufrieden gesehen hast wie an diesem?«
Johann rief sich die zurückliegenden Jahre ins Gedächtnis, dachte an den Krieg, an ihre gemeinsame Zeit in Akkon, den Aufenthalt im
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