Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
konnte.
Sie seufzte im Schlaf und runzelte unwillig die Stirn. Johann küsste sie auf die Schläfe. Sie wurde davon wach und bewegte sich schlaftrunken. Ihr Hinterteil rutschte über seine Lenden, und obwohl er sich in den letzten Stunden bis zum Exzess verausgabt hatte, spürte er einen Anflug neuerlicher Erregung. Madlen merkte es und wandte den Kopf.
»Johann«, murmelte sie. »Weißt du, was das bedeutet?«
»Nein«, gab er zurück. »Weißt du es?«
»Aber ja.« Sie kicherte verschlafen und drehte sich in seinen Armen zu ihm um. »Dass ich morgen schrecklich viel beten muss.«
Er sah das Grübchen in ihrer Wange, und mit einem Mal wurde ihm das Herz so weit, dass es wehtat. Seine Brust dehnte sich davon, und sein Atem geriet ins Stocken. Plötzlich wusste er, was Veit gemeint hatte. Er war wirklich ein Idiot. Er hätte einfach nur in sich hineinhorchen müssen, statt sich ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, was sie in ihm sah oder von ihm wollte. Er hätte sich bloß fragen müssen, was sie ihm bedeutete. Und das wusste er auf einmal sehr genau.
Voller Zärtlichkeit drückte er sie an sich. Er konnte es ihr nicht sagen, die Worte waren noch nie über seine Lippen gekommen, doch er konnte es ihr zeigen, und das tat er.
Als sie schließlich voneinander abließen und in einen erschöpften Schlaf fielen, graute draußen bereits der Morgen.
Ostern 1260, Anfang April
»Du musst jetzt pressen«, sagte Juliana zu der Frau. Ihre Stimme war laut und beschwörend, denn die Kreißende war kaum bei Sinnen. Sie schrie während der gesamten Wehe und übertönte damit alle Befehle und Ermahnungen. Es war ihr erstes Kind. Sie war blutjung, höchstens sechzehn, und es gab weder einen Ehemann noch Eltern und auch sonst niemanden, der sich um sie kümmerte. Das Kind war von dem Mann, in dessen Haus sie als Magd gedient hatte, und als ihre Schwangerschaft ruchbar geworden war, hatte er sie vor die Tür gesetzt. Sie war von einem alten Fassbender aufgenommen worden, dem im Vorjahr die Frau gestorben war, ihm hatte sie den Haushalt führen und das Bett wärmen dürfen, bis ihr wachsender Leibesumfang ihn störte und er sie ebenfalls hinauswarf. Die letzten Wochen hatte sie an der Stadtmauer geschlafen und sich mit Betteln durchgeschlagen, das war ihr immer noch aussichtsreicher erschienen als in einem der überfüllten Armenhospitäler zu wohnen, wo man sich nur die Krätze oder Schlimmeres holte.
Sie war viel zu dünn, und auch das Kind in ihrem Leib war zu klein. Sogar Hildegund, aus der nie eine brauchbare Hebamme werden würde, hatte keine Schwierigkeiten damit gehabt, das festzustellen.
»Sie kommt viel zu früh nieder«, hatte sie kopfschüttelnd gesagt. »Ich glaube nicht, dass das Kind leben wird.«
»Halt den Mund und koch Wasser«, hatte Juliana sie angefahren.
»Und wenn der Alte mich nicht lässt? Er war sowieso schon wütend, weil doch Ostern ist und er in Frieden das Fest begehen will!«
»Sag ihm, unser Erlöser sieht an diesem heiligen Tag Seiner Auferstehung den bösen Menschen direkt ins Herz, und dass jenen, die Schlechtes tun, das ewige Höllenfeuer der Verdammnis droht!«
Hildegund bekreuzigte sich, dann eilte sie davon.
Die Schwangere bäumte sich unter der nächsten Wehe auf und schrie wie von Sinnen. Juliana hielt ihr die Schenkel auseinander, denn gleich würde der Kopf durchtreten. In dem Schuppen, wo sie das Mädchen vorgefunden hatten, war es erbärmlich schmutzig, nur faulige Binsen und schlammiger Untergrund. Das Dach wies große Löcher auf, es hatte reichlich hereingeregnet. Es gab nichts, worauf man das Mädchen hätte betten können, folglich hatte Juliana ihren Umhang ausgezogen und ihn der Schwangeren untergelegt. Er war alt und abgeschabt, sie hatte längst einen neuen gebraucht. Die Meisterin würde es verstehen.
Die Kreißende ächzte und wimmerte, alle Kraft hatte sie verlassen. Doch die Natur sorgte von allein dafür, dass das Kind zur Welt kam. Zuerst erschien der Kopf, dann rutschte der winzige Körper nach. Die Haut war blau, das Neugeborene zeigte kein Lebenszeichen. Hildegund hatte recht gehabt, es war viel zu klein, kaum eine Hand groß. Es blieb Juliana keine Zeit, es näher zu untersuchen, denn ihr erstes Augenmerk galt wie nach jeder Geburt der Mutter. Das Mädchen lag still, es war, als sei mit dem Kind auch alles Leben aus ihr gewichen. Ihr Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Juliana blickte prüfend zwischen ihre Schenkel, zwischen denen die gedrehte
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