Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
handelte sich um den bärtigen Mann, der vor wenigen Wochen schon einmal hier gewesen und von Irmla wegen seines seltsamen, dreisten Starrens vor die Tür gesetzt worden war.
Befremdet sah sie, wie Johann sich zu dem Mann beugte und einige Worte mit ihm wechselte. Es schien ganz so, als ob die beiden sich kannten, aber nicht unbedingt als gute Freunde, denn als Johann sich anschließend wieder zu ihr umwandte, war sein Gesicht angespannt und blass. Sofort waren Ursel und ihr Brief vergessen. Ihm jedoch schien dieser Brief überaus wichtig zu sein, denn er nahm eine der Lampen vom Haken und ging, ohne Madlen eines Blickes zu würdigen, durch die Hintertür hinaus auf den Hof, wo er das Pergament hastig entrollte und las. Madlen bekam es nur mit, weil sie ihm auf dem Fuße folgte; als sie zu ihm trat, hatte er die Botschaft schon wieder hinter seinem Gürtel verstaut.
»Schreibt sie dir von ihrer ewigen Liebe?« Madlen ballte die Hände zu Fäusten. Als er nicht antwortete, musste sie an sich halten, keinen Wutschrei auszustoßen. Dann erst bemerkte sie, wie ernst er aussah. Sein düsterer Blick richtete sich in die Ferne, und seine Kieferknochen mahlten. Madlen schluckte erschrocken, mit einem Mal bekam sie Angst um ihre Ehe. In ihre Eifersucht mischte sich die Furcht, er könne sie verlassen wollen. Sie war sich seiner so sicher gewesen, doch nun gab es diesen Brief. Und Ursel, die ihn geküsst hatte, als hätte sie jedes Recht dazu.
»Du … du liebst sie doch nicht, oder?«, fragte sie. Ihre Stimme klang erbärmlich dünn und unsicher. Er sah sie an, nun galt sein Blick wieder ihr, und ein Ausdruck von Erstaunen trat in sein Gesicht. »Meine Güte, nein! Was ist das für eine dumme Frage?«
»Sie hat dich immerhin geküsst! Und dir schon wieder einen Liebesbrief gegeben!« Dass Madlen immer noch nicht richtig lesen konnte, was in dem ersten stand, nagte an ihr. Johann gab ihr zwar wieder Unterricht, jeden Tag mindestens eine Stunde, doch das Lesen war alles andere als einfach, vom Schreiben gar nicht zu reden. Das Rechnen war dagegen geradezu läppisch leicht, inzwischen beherrschte sie alles, was Johann auch konnte, doch wenn sie versuchte, die vertrackten Buchstaben in die richtige Reihenfolge zu bringen, ob lesend oder schreibend, musste sie fortwährend lästerliche Flüche unterdrücken.
»Wenn du willst, lese ich dir beide Briefe nachher vor«, sagte er, als könne er hören, was sie dachte.
Das besänftigte sie ein wenig, doch ihr Misstrauen und ihr Ärger schwanden nicht vollends, beides köchelte auf kleiner Flamme weiter, erst recht, als er auf ihre Frage, wer der bärtige Mann sei, eine kurz angebundene, nichtssagende Antwort gab. »Ich hatte früher mal eine unangenehme Begegnung mit ihm.« Ohne nähere Erklärungen ging er in den Schankraum zurück und stürzte sich dort wieder in die Arbeit, als sei nichts gewesen. Madlen tat es ihm gleich und versuchte nach Kräften, ihren Unmut zu unterdrücken, doch es fiel ihr nicht leicht. Als Caspar sie forschend musterte und wissen wollte, ob alles in Ordnung sei, befahl sie ihm, sie in Ruhe zu lassen. Gleich darauf bereute sie ihre schroffe Antwort. Impulsiv nahm sie seine Hand und drückte sie. »Es tut mir leid, Caspar.« Sie holte Luft. »Es tut mir auch leid, dass ich dich letztens geohrfeigt habe. Das wollte ich dir schon längst sagen.«
Er nickte ein wenig angestrengt, dann sah er sie fragend an. »Es wird doch keinen Ärger mehr geben, oder? Hätten die Männer, die heute zum Aufpassen hier waren, vielleicht besser noch über Nacht bleiben sollen?«
»Nein, das war nicht nötig, es hat ja überhaupt keinen Aufruhr gegeben. Und es wird auch keinen mehr geben, denn die Richerleute hocken im Kerker und können nie wieder Unruhe stiften. Ab sofort herrscht in der Stadt Frieden, und auch wir sind hier in Sicherheit.« Noch während sie das sagte, beschlich sie eine leise Unsicherheit, die sie sich nicht erklären konnte. Vielleicht hing es mit dem seltsamen Fremden zusammen, der auf den ersten Blick ähnlich amüsiert seine Umgebung taxierte wie beim letzten Mal, doch in seiner Haltung lag eine unterdrückte Anspannung, die nicht recht zu seinem Grinsen passen wollte.
Die Schankzeit näherte sich dem Ende, Madlen hörte mit dem Zapfen auf. Caspar und Johann fingen an, reihum die leeren Becher einzusammeln, und Madlen schickte Irmla und Willi schlafen. Nach und nach verließen die Gäste teils müde, teils beschwingt das Goldene Fass und machten
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