Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
zu sein. Er achtete auf sich, so gut es unter den gegebenen Umständen überhaupt möglich war. Er kämmte und stutzte sich das Haar, schabte sich den Bart und reinigte sich immer noch wie in früher Jugend regelmäßig die Zähne, ein Ritual, das Johann schon vor so langer Zeit von ihm übernommen hatte, dass er kaum noch darüber nachdachte. Gegen die Langeweile sang Veit die alten Lieder oder rezitierte Verse von Ovid, die ihm das belesene Edelfräulein beigebracht hatte, dem er früher als Page gedient hatte. Johann hatte sie mittlerweile schon so oft gehört, dass sie ihm zu den Ohren herauskamen, zumal es weder edle noch sonstige Fräulein in seinem Leben gab, jedenfalls keine, die je von Ovid gehört hätten.
In den vergangenen Monaten hatte er kaum Gelegenheit gehabt, sich Frauen zu nähern. In Augsburg hatte es Grete gegeben, diese Zeit hatte zu den besseren seines Lebens gehört, aber das war aus und vorbei.
Während seines vorletzten Aufenthalts in Köln hatte er vor seinem Rückweg die Dienste einer Schlupfhure in Anspruch genommen, doch das war auch schon wieder vier Monate her, in denen er sich notgedrungen mit der Gesellschaft seiner Hand hatte begnügen müssen. Und mit Bildern im Kopf, die neuerdings seltsamerweise fast alle die blonde Brauerin zeigten, meist in dem Augenblick, als sie sich vorbeugte, um sich ein Stück vom Unterkleid abzureißen. Manchmal aber auch, wie sie voller Zorn das Brett in den Torbogen schleuderte.
»Woran denkst du?«, wollte Veit wissen.
»An nichts Besonderes«, behauptete Johann. Die Fleischstücke waren gar. Er zog sie vom Spieß und verteilte sie auf zwei Essbrettern, von denen er eines Veit reichte. Einträchtig verzehrten sie die heiße, köstliche Mahlzeit, eine Wohltat in der feuchten Kälte, die auch das Feuer nicht richtig vertreiben konnte. Das gelang dafür dem Rotwein, den sie sich nach dem Essen teilten. Johann hatte ihn aus Köln mitgebracht, ein edler spanischer Tropfen, der nach Sonne und Pinienharz duftete und die Zunge hinabrollte wie Nektar aus dem Paradies. Wer wollte schon freiwillig Bier trinken, wenn er solchen Wein haben konnte?
Der Schlauch hatte bereits deutlich an Umfang abgenommen, als Veit unvermittelt den Kopf hob. »Da kommt jemand.« Sein Gehör war – bedingt durch den Verlust seiner Sehkraft – schärfer als das von anderen. Gleich darauf vernahm Johann es auch: Hufschlag von mehreren Pferden, die sich rasch näherten. Er stand auf.
»Schon wieder?«, fragte Veit. Es klang besorgt, zugleich aber auch resigniert.
»Sie würden nicht kommen, wenn es sich nicht lohnen würde.«
»Mir gefällt das nicht.«
»Ich weiß. Mir auch nicht. Aber bald ist Schluss damit. Vielleicht erbeuten wir heute schon genug.«
»Du hättest gar nicht erst damit anfangen sollen.«
»Müssen wir das schon wieder erörtern?«
»Ich will nur nicht, dass du es meinetwegen tust.«
»Veit, ich mache es, weil es die einzige Möglichkeit ist, mir ein Stück von meinem Leben zurückzuholen. Ich weiß, dass du notfalls auch in eines von diesen unsäglichen Armenhospitälern ziehen würdest. Tagsüber würdest du vor einer der ungezählten Kirchen hocken und betteln, und die Nächte in einem von Ungeziefer verseuchten Rattenloch zubringen.« Johann schüttelte den Kopf, obwohl Veit es nicht sehen konnte. »Das lasse ich nicht zu. Auch dieses Räuberleben hier im Wald ist bald vorbei, dafür sorge ich schon.« Er merkte, wie er sich in seinen Groll hineinsteigerte, dabei hatte Veit gar keine weiteren Einwände mehr erhoben, sondern nur den Kopf auf die Seite gelegt, wie er es manchmal tat, auf diese nachdenkliche, ein wenig traurige Weise. Als wolle er ihn fragen, wie es so weit hatte kommen können.
Die berittene Horde tauchte zwischen den Bäumen auf. Johann zählte sechs Männer, zwei mehr als beim letzten Mal. Der Himmel allein wusste, wo Drago die schon wieder aufgetrieben hatte, Johann hatte sie noch nie gesehen. Die meisten Ritter der Umgebung waren schon vor Jahren vom Kreuzzug zurückgekehrt, Johann und Veit hatten zu den letzten gehört. Vielen war es so ergangen wie ihnen – nach ihrer Rückkehr hatten sie alles verloren, ihre Lehen waren anderen übereignet worden, weil der Erzbischof neue Verbündete gegen seine ständig wechselnden Feinde gebraucht hatte. Ihnen blieb nur die Wahl, im Hafen Kräne zu treten oder andere Tagelöhnerarbeit zu verrichten, so es denn welche für sie gab. Jene, die noch ein Pferd und Waffen besaßen, konnten sich
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