Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
vorübergehend, wie es zunächst hieß. Johann und ich blieben danach noch zwei Jahre in Palästina, zuerst in Jaffa, dann in Akkon, wo Johann dem Seneschall des Königs bis zu dessen Rückkehr als Ritter dienen wollte. In einem weiteren Kampf gelang es, den feindlichen Statthalter von Jerusalem zu töten, doch die Eroberung der Stadt rückte dadurch keinen Schritt näher. Der König schickte zwar Geld, aber er blieb in Frankreich. Die Sache, um derentwillen wir einst unsere Heimat verlassen hatten – es gab sie nicht mehr. Alles hatte sich in sinnlosen Scharmützeln verzettelt, in denen jeder gegen jeden kämpfte, sogar Christen gegen Christen. Vor vier Jahren hatte Johann endgültig die Nase voll, wir kehrten dem Heiligen Land den Rücken.«
»Wie kam es, dass ihr anschließend noch drei Jahre in einem bayerischen Kloster gelebt habt?«
»Das war gewissermaßen meine Schuld«, sagte Veit. »Ich fiel unglücklich und brach mir ein Bein. Die Mönche kümmerten sich um mich, sie hatten einen recht guten Knochenflicker, und so fanden wir Aufnahme bei den Augustinern. Die Verletzung heilte problemlos, ich merke heute nichts mehr davon. Aber kaum konnte ich damals wieder die ersten humpelnden Schritte tun, wurde ich von einem Fieber niedergeworfen. Dann kam ein langer, harter Winter, in dem ich mich mit den Folgen jenes Fiebers herumplagen musste und Johann eine Weiterreise nicht riskieren wollte. Während dieses Winters lernte Johann Grete kennen.«
»Grete? Du meinst, es gab da in Bayern eine Frau?«
Veit nickte. »Johann hat sich in sie verliebt.«
Die Worte versetzten Madlen einen Stich, es kam ihr so vor, als sei sie mit voller Absicht getäuscht worden, obwohl das absurd war. Schließlich hatte Johann sich keineswegs danach gedrängt, sie zu heiraten, er hatte es ja nicht einmal mitbekommen. Davon abgesehen führten sie sowieso keine richtige Ehe, alles lief darauf hinaus, dass er bald weiterzog und sie selbst unbehelligt ihr angestammtes Leben fortsetzen konnte.
Madlen griff sich eine Handvoll Strohhalme und fing an, sie zu zerrupfen. »Wer war die Frau?«
»Grete war eine jüdische Witwe holländischer Herkunft. Sie hatte einen sechzehnjährigen Sohn.«
»Dann war sie schon alt«, sagte Madlen erstaunt.
Veit lächelte verhalten. »Nur drei Jahre älter als Johann. Als er sie kennenlernte, war sie kaum dreißig. Und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass sie eine Schönheit war. Ihr Sohn hielt sich bei ihrem Bruder in Amsterdam auf, um dort den Tuchhandel zu erlernen. Alle Treffen zwischen ihr und Johann fanden heimlich statt, es sollte nicht ruchbar werden. Als Gretes Sohn zurückkam, war die Beziehung zu Ende. Sie wollte es so, es war eine klare Abmachung. Eine Ehe mit einem Andersgläubigen kam für sie nicht in Betracht, und sie wollte ihrem Sohn keinen Stiefvater zumuten.«
Das weckte in Madlen einen Hauch von Entrüstung. »Sie haben es so abgemacht ? Ihr Sohn kommt zurück und sie schickt Johann zum Teufel? Er war für diese Grete also nur eine willkommene Abwechslung?!«
»Nun ja, umgekehrt galt vermutlich dasselbe.«
Madlen zerknickte die Strohhalme in ihrer Hand. Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt. Wieso machte sie sich Gedanken darüber, ob eine fremde Frau Johann zu ihrem Spielzeug erkor, wenn er es doch offensichtlich gar nicht anders wollte, ja, es sogar genoss?
»Ein paar Wochen lang war er ziemlich niedergeschlagen«, fuhr Veit fort.
Gut so, dachte Madlen.
»Aber er ist jemand, der sich immer an seine Abmachungen hält«, schloss Veit.
Zum Glück, sagte Madlen sich. Dann kann ich mich wenigstens darauf verlassen, dass er auch unsere Abmachung befolgt und bald von hier verschwindet.
Trotzig griff sie nach weiteren Strohhalmen.
Das Pferd schnaubte. In einer Aufwallung von Ruhelosigkeit erhob Madlen sich und ging hinüber zum Gatter. Über die Schulter sagte sie zu Veit: »Deine Geschichte war gut. Der Gaul hat den ganzen Hafersack leer gefressen.«
Als keine Antwort kam, wandte sie sich zu ihm um. Der heitere Ausdruck, den er sonst immer zur Schau trug, war besorgter Nachdenklichkeit gewichen.
»Im Haus gibt es frisches Bier und Essen, du solltest auch gleich rüberkommen«, sagte sie, dann verließ sie hastig den Stall.
Die Glocken läuteten zur Komplet, als Johann zurückkehrte. Madlen, die mit Cuntz am Tisch saß und unter gelegentlichen stummen Flüchen bei Kerzenlicht einen eingerissenen Rocksaum flickte, tat so, als sei es ihr völlig einerlei, wo er
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