Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Anwesenheit losgeworden wäre, doch die war bereits seit dem Morgengrauen in der Braustube zugange.
Er betrachtete das Gebäude. Es war ein schindelgedecktes, zweistöckiges Haus, das von einer mannshohen Mauer umgeben war, hinter der Obstbäume aufragten. Das Anwesen wirkte solide und strahlte sogar einen gewissen Wohlstand aus. Blithildis hatte es wirklich gut getroffen. Es war nicht mit Burg Bergerhausen zu vergleichen, aber mit ihrem früheren gemeinsamen Elternhaus in der Rheingasse konnte es auf jeden Fall mithalten. Sie hatte gesund ausgesehen, mit klaren Augen, reiner Haut, gepflegten Zähnen. Ihr Haar hatte er nicht gesehen, da es von einer Haube bedeckt gewesen war, doch er konnte es sich gut dazudenken. Eine lange, braune Mähne mit goldenen Glanzlichtern darin, die damals ein reizendes Mädchenantlitz umrahmt hatte. Ihre Züge waren nun reif und fraulich, um die Augen und die Mundwinkel hatten sich Fältchen eingenistet, sie wirkte insgesamt viel melancholischer, dennoch hätte er sie unter Hunderten von Frauen wiedererkannt. Die fünfzehn Jahre seit seinem Aufbruch hatten sie trotz der ihr zugestoßenen Schrecknisse nicht so stark verändern können wie ihn selbst. Schon damals war sie von hohem, elegantem Wuchs gewesen, hatte sich auf diese geschmeidige und zugleich sparsame Weise bewegt, hatte den Kopf in einem bestimmten Winkel geneigt, wenn etwas sie irritierte.
Johann verlagerte sein Gewicht ein wenig, weil das Sitzen auf dem Handkarren nicht sonderlich bequem war. Er hatte ein paar Säcke Hafer, einen Beutel mit getrocknetem Hopfen sowie ein Fässchen Pech auf dem Markt besorgt; dafür hatte es sich nicht gelohnt, das Fuhrwerk aus dem Wagenhaus zu holen und den Gaul anzuschirren.
Lange konnte er nicht mehr hierbleiben, Madlen würde sich bald fragen, wo er steckte. Falls er heute kein Glück hatte, würde er es an einem anderen Tag erneut versuchen, auch auf die Gefahr hin, damit Madlens Unwillen zu erregen. Sie war leicht aus der Ruhe zu bringen, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf ging, dazu reichte es schon, wenn er ein paar Stunden außer Haus war.
»Das kommt daher, dass sie sich sorgt, du könntest dich einfach ohne ein Wort davonmachen«, hatte Veit ihm zu bedenken gegeben. »Dann würde sie vor der Bruderschaft dumm dastehen.«
Da mochte was dran sein, obwohl Johann vermutete, dass ihre oft gewittrige Stimmung eher profanere Ursachen hatte – sie war es ganz einfach gewohnt, dass jedermann ihr gehorchte. Für ein so kleines, zartes Persönchen besaß sie ein erstaunlich tyrannisches Wesen. Johann fragte sich, ob sie ahnte, dass es mit jedem Tag, den sie beide unter einem Dach lebten und arbeiteten, zwischen ihnen schwieriger werden konnte. Nicht in dem Sinne, dass sie stritten oder einander misstrauten. Sondern weil sich zwischen ihnen eine höchst fatale Anziehungskraft entwickelte. Was ihn selbst betraf, so wusste Johann schon seit einer Weile genau, wonach es ihn drängte, und es fiel ihm immer schwerer, es nicht zu tun: Er wollte sie packen und sie küssen und ihr die Kleider vom Leib reißen. Oft am liebsten in solchen Augenblicken, wenn sie wütend war oder sich über irgendwelche Nichtigkeiten ereiferte. Schon wenn er sich ihr nur ein paar Schritte näherte, reichte das aus, um alle möglichen lüsternen Gedanken in ihm zu wecken. Stieg ihm dann noch ihr Geruch in die Nase, jener unverwechselbare Duft aus warmer, verschwitzter Haut, süßen Kräutern und frischem Malz, musste er manchmal den Kopf abwenden, damit nicht jeder sofort merkte, wie sehr sie ihn um den Verstand brachte.
Am Vorabend, als er nur mit der Bruche bekleidet vor ihr gestanden hatte, war es ihm beinahe so vorgekommen, als habe weibliche Bewunderung in ihrem Blick gelegen, vielleicht sogar eine Spur von Begehren, doch waren dies höchstens unbewusste Empfindungen, die gegenüber ihren wirklichen Wünschen nichts bedeuteten. Noch wahrscheinlicher war, dass er es sich nur eingebildet hatte, denn inzwischen wusste er, dass Madlens toter Mann ein Ausbund an männlicher Tugend und jugendlicher Schönheit gewesen war. Irmla hatte ihn erst heute früh ins Bild gesetzt und dabei nicht mit Andeutungen gegeizt, dass er dem teuren Verstorbenen in keiner Hinsicht das Wasser reichen konnte.
»Er war so jung und so schön wie der edelste aller Prinzen, keine einzige Narbe verunzierte sein herrliches Antlitz! Dabei war er zugleich männlich und voller Saft und Kraft! Sie trieben es fast jeden Tag vor dem Einschlafen, auch
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