Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
wenn er vorher stundenlang Fässer geschleppt hatte!«
Weitere Ausführungen hatte sie sich versagt, denn in diesem Moment war Madlen vom Abritt zurückgekehrt, mit der Ankündigung, für den kommenden Abend die Goldgräber bestellen zu wollen, da die Latrinen nun endgültig voll seien, der Gestank sei nicht länger zu ertragen.
Irmlas kurzer Exkurs hatte Johann jedoch vollauf gereicht, um die Dinge wieder im richtigen Licht zu sehen. Für Madlen war allein maßgeblich, dass er sie vor den Einmischungen der übermächtigen Bruderschaft bewahrte, und auch die praktische Seite dieser Übereinkunft war klar geregelt. Sie wollte keinen Mann fürs Bett, sondern seine Hilfe in der Brauerei und neuerdings auch Schulunterricht. Beides sollte sie haben, das schuldete er ihr. Alles andere schlug er sich besser aus dem Kopf.
Das Tor zum Beginenkonvent öffnete sich, zwei grau gekleidete Frauen traten heraus. Eine davon war Blithildis. Johann holte tief Luft, mit einem Mal schien ihm sein Vorhaben falsch und grob. Madlen hatte recht, er durfte seine Schwester nicht mit der Vergangenheit konfrontieren, sie hatte zu viel durchgemacht. Sie führte ein glückliches und zufriedenes Leben, und jeder Versuch, ihre Erinnerungen wieder zu wecken, musste sie zwangsläufig verstören. Während er noch zauderte, kam sie näher. Begleitet wurde sie von einer rundlichen Begine, die einen Kopf kleiner war als sie und fröhlich vor sich hin schwatzte. Blithildis schien nicht richtig hinzuhören, sie wirkte gelangweilt, fast sogar angeödet. Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie auf die Gesellschaft der anderen keinen besonderen Wert legte. Dann sah sie Johann an der Ecke stehen, und in ihrer Miene offenbarten sich Erstaunen sowie eine Spur von Furcht. Johann verfluchte sich bereits für seinen Plan, doch da er sich schlecht in Luft auflösen konnte, blieb er stehen und wartete, bis sie näher gekommen war. Nachdem sie ihn bereits bei ihrer besten Freundin als deren neuen Ehemann kennengelernt hatte, war es ihr nicht möglich, einfach wortlos an ihm vorbeizueilen, doch er ahnte, dass sie am liebsten genau das getan hätte.
»Gott zum Gruße«, sagte sie zögernd. Sie verlangsamte ihre Schritte und blieb schließlich voller Unbehagen stehen, weit genug von ihm weg, als wolle sie sicherstellen, dass sie jederzeit den Rückzug antreten konnte. »Ihr wart wohl schon auf dem Markt.«
Ihr kläglicher Versuch, höfliche Konversation zu betreiben, schnitt ihm ins Herz. Er war drauf und dran, die Deichsel des Karrens anzuheben und sich mit einer beiläufigen Bemerkung zu entfernen, doch die jüngere Begine stand im Weg. Neugierig starrte sie ihn an.
»Wer ist das, Juliana?«, wollte sie wissen.
»Das ist Madlens Ehemann, Johann von Bergerhausen.«
Während sie den Namen aussprach, verzog sich ihr Gesicht wie unter einem leichten Schmerz, sie blickte Johann befremdet und besorgt an und tat einen halben Schritt rückwärts.
Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Sie war seine Schwester, er hatte sie so lange gesucht, und außer ihr hatte er keine Familie mehr. Als Kinder hatten sie einander innig geliebt, sie waren wie die beiden Seiten einer Münze gewesen, verschieden und doch gleich, aber niemals weiter voneinander entfernt als einen kurzen Blick.
»Blithildis«, sagte er sanft und bittend. »Erinnerst du dich denn gar nicht an mich? An unser Haus in der Rheingasse. An Burg Bergerhausen bei Kerpen, wo wir später lebten. An deine Eltern, die auch meine Eltern sind. Blithildis, ich bin dein Bruder.«
Stolpernd wich sie zurück, auf ihrem Gesicht malten sich Angst und Unglauben.
»Nein«, stieß sie hervor. »Ich erinnere mich nicht. Ich kenne Euch nicht, es sei denn als Madlens Gatten. Wie könnt Ihr mein Bruder sein, wenn ich mich Eurer nicht entsinne?« Panisch blickte sie sich nach allen Seiten um, als seien überall um sie herum feindliche Angreifer, die auf sie eindringen wollten, dann wandte sie sich abrupt ab und lief davon, zurück zum Konvent. Wie von Sinnen hämmerte sie an das Tor, bis ihr aufgetan wurde. Die jüngere Begine folgte ihr, während sie verwirrt über die Schulter zu Johann zurückblickte. Gemeinsam mit Blithildis verschwand sie durch das Tor, das mit einem dumpfen Geräusch hinter ihnen ins Schloss fiel.
Johann ließ die angehaltene Luft entweichen. Der Schmerz in seinem Inneren war scharf und quälend, er fühlte sich wie ein Kind, das geschlagen worden war, doch fast noch schlimmer waren die Selbstvorwürfe, die
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