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Das Erbe der Elfen

Das Erbe der Elfen

Titel: Das Erbe der Elfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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blieb neben Ciri stehen und sah, dass sie beide am Rande eines bodenlosen Abgrunds standen, in dem ein rötlicher, wie von unten erleuchteter Rauch wallte. Das Licht des nächsten lautlosen Blitzes ließ plötzlich eine in den Abgrund hinabführende Marmortreppe erkennen.
    »Es muss so sein«, sagte Ciri mit zitternder Stimme. »Es gibt keinen anderen Weg. Nur diesen. Auf der Treppe nach unten. Es muss so sein, weil  ... Va’esse deireádh aep eigean  ...«
    »Sprich«, flüsterte die Magierin. »Sprich, Kind.«
    »Kind vom Älteren Blute  ... Feainnewedd  ... Luned aep Hen Ichaer  ... Deithwen  ... die Weiße Flamme  ... Nein, nein  ... Nein!«
    »Ciri!«
    »Der schwarze Ritter  ... mit Federn am Helm  ... Was hat er mir angetan? Was ist damals geschehen? Ich hatte Angst  ... Ich habe immer noch Angst. Das hat nicht aufgehört, das hört niemals auf. Das Löwenjunge muss sterben  ... Die Staatsräson  ... Nein  ... Nein  ...«
    »Ciri!«
    »Nein!« Das Mädchen spannte sich an, kniff die Lider zusammen. »Nein, nein, ich will nicht! Rühr mich nicht an!«
    Ciris Gesicht änderte sich auf einen Schlag, erstarrte, die Stimme wurde metallisch, kalt und feindselig, es klang darin ein böser, grausamer Hohn.
    »Du bist ihr sogar bis hierher gefolgt, Triss Merigold? Bis hierher? Du bist zu weit gegangen, Vierzehnte. Ich habe dich gewarnt.«
    »Wer bist du?« Triss erschauderte. Doch sie beherrschte ihre Stimme.
    »Das wirst du erfahren, wenn es an der Zeit ist.«
    »Ich werde es sofort erfahren!«
    Die Zauberin hob die Hände, breitete sie ruckartig aus, legte alle Kraft in den Erkennungszauber. Der magische Vorhang zerriss, doch dahinter war ein anderer  ... ein dritter ... ein vierter  ...
    Triss sank ächzend auf die Knie. Die Wirklichkeit aber riss immer weiter auf, es öffnete sich Tür um Tür, eine lange, endlose Reihe, die nirgendwohin führte. Ins Leere.
    »Du hast dich geirrt, Vierzehnte«, höhnte die metallische, unmenschliche Stimme. »Du hast den Himmel mit den Sternen verwechselt, die sich nachts im Teich spiegeln.«
    »Rühr sie nicht an  ... Rühr dieses Kind nicht an!«
    »Das ist kein Kind.«
    Ciris Lippen bewegten sich, doch Triss sah, dass die Augen des Mädchens tot waren, glasig, bewusstlos.
    »Das ist kein Kind«, wiederholte die Stimme. »Das ist die Flamme, die Weiße Flamme, an der die Welt Feuer fangen und verbrennen wird. Das ist das Ältere Blut, Hen Ichaer. Elfenblut. Das Samenkorn, das nicht keimen wird, sondern in Flammen ausbrechen. Das Blut, das geschändet wird  ... Wenn Tedd Deireádh kommt, die Zeit des Endes. Va’esse deireádh aep eigean!«
    »Du prophezeist den Tod?«, schrie Triss. »Kannst du weiter nichts als den Tod prophezeien? Allen? Ihnen, ihr  ... Mir?«
    »Dir? Du bist schon gestorben, Vierzehnte. In dir ist schon alles gestorben.«
    »Bei der Macht der Sphären«, ächzte die Magierin, mobilisierte die letzten Kräfte und fuhr mit der Hand durch die Luft. »Bei Wasser, Feuer, Erde und Luft beschwöre ich dich. Ich beschwöre dich beim Gedanken, beim Traum und beim Tod, bei dem, was war, bei dem, was ist, und bei dem, was sein wird. Ich beschwöre dich. Wer bist du? Sprich!«
    Ciri wandte den Kopf. Das Bild der in die Tiefe des Abgrunds führenden Treppe verschwand, zerfloss, an ihrer Stelle erschien ein graues bleiernes Meer, auf dem sich brechende Wellenkämme schäumten. In die Stille drang abermals der Schrei der Möwen.
    »Flieg«, sagte die Stimme mit dem Munde des Mädchens. »Es ist Zeit. Kehr zurück, woher du gekommen bist, Vierzehnte von der Anhöhe. Flieg auf den Flügeln der Möwe und höre dem Schrei der anderen Möwen zu. Hör aufmerksam zu!«
    »Ich beschwöre dich  ...«
    »Das kannst du nicht. Flieg, Möwe!«
    Und plötzlich war da wieder die sturmpfeifende, nasse und salzige Luft, und da war der Flug, ein Flug ohne Ende und Anfang. Wild schrien die Möwen. Schrien und befahlen.
    Triss?
    Ciri?
    Vergiss ihn! Quäl ihn nicht! Vergiss! Vergiss, Triss!
    Vergiss!
    Triss! Triss! Triiiss!
    »Triss!«
    Sie öffnete die Augen, warf den Kopf auf dem Kissen hin und her, bewegte die taub gewordenen Hände.
    »Geralt?«
    »Ich bin bei dir. Wie fühlst du dich?«
    Sie schaute sich um. Sie war in ihrem Zimmer, lag im Bett. Im besten Bett von ganz Kaer Morhen.
    »Was ist mit Ciri?«
    »Sie schläft.«
    »Wie lange  ...?«
    »Zu lange«, unterbrach er sie. Er zog die Decke über sie, umarmte sie. Als er sich herabbeugte,

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