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Das Erbe der Elfen

Das Erbe der Elfen

Titel: Das Erbe der Elfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Hexer schob das Gefäß geschickt aus ihrer Reichweite, griff nach dem Wasserkrug.
    Triss stand rasch auf. »Bitte.« Sie hielt dem Mädchen ihren halbvollen Kelch hin, drückte dabei Geralt vielsagend auf die Schulter und schaute Vesemir in die Augen. »Trink.«
    »Triss«, zischte Eskel, während er zusah, wie Ciri gierig trank. »Was tust du da? Das ist doch  ...«
    »Kein Wort, bitte.«
    Sie brauchten nicht lange auf die Wirkung zu warten. Ciri spannte sich plötzlich an, schrie leise, lächelte breit und glücklich. Sie blinzelte, breitete die Arme aus. Sie begann zu lachen, wirbelte in einer Pirouette herum, begann auf den Zehenspitzen zu tanzen. Lambert nahm mit einer blitzschnellen Bewegung einen Schemel weg, der ihr im Wege stand, Coën stellte sich zwischen die Tanzende und das Kaminfeuer.
    Triss riss aus dem Ausschnitt ihres Kleides ein Amulett hervor, einen in Silber gefassten Saphir an einer dünnen Kette. Sie umklammerte es fest mit der Hand.
    »Kindchen  ...«, ächzte Vesemir. »Was stellst du an?«
    »Ich weiß, was ich tue«, sagte sie scharf. »Das Mädchen ist in Trance verfallen, und ich werde psychischen Kontakt zu ihr aufnehmen. Werde mich in sie hineinversetzen. Ich habe euch gesagt, sie ist eine Art magischer Übermittler, ich muss wissen, was sie übermittelt, wie und woher sie die Aura bekommt, wie sie sie umformt. Heute ist Midinváerne, eine günstige Nacht für solche Unternehmungen  ...«
    »Das gefällt mir nicht.« Geralt runzelte die Stirn. »Das gefällt mir ganz und gar nicht.«
    »Wenn eine von uns einen epileptischen Anfall haben sollte« – die Zauberin ignorierte seine Worte  –, »wisst ihr, was ihr zu tun habt. Einen Knebel zwischen die Zähne, festhalten, abwarten. Kopf hoch, Jungs. Ich mache das nicht zum ersten Mal.«
    Ciri hörte auf zu tanzen, hockte sich hin, streckte die Arme aus, legte den Kopf auf die Knie. Triss presste sich das schon warm gewordene Amulett an die Schläfe, flüsterte einen Spruch. Sie schloss die Augen, konzentrierte ihren Willen und sandte einen Impuls aus.
    Das Meer begann zu rauschen, donnernd stießen die Wellen an ein felsiges Ufer, ließen Fontänen zwischen den Steinbrocken emporschießen. Sie schlug mit den Flügeln, suchte den salzigen Wind. Unbeschreiblich glücklich stieß sie herab, holte den Schwarm ihrer Gefährtinnen ein, streifte mit den Fängen über die Kämme der Wellen, schoss tropfensprühend wieder gen Himmel, segelte dahin, geschüttelt von dem Luftwirbel, der in Schwung- und Schwanzfedern rauschte. Die Kraft der Suggestion, dachte sie nüchtern. Das ist nur die Kraft der Suggestion. Eine Möwe!
    Triiiss! Triiiss!
    Ciri? Wo bist du?
    Triiiss!
    Die Möwenschreie verstummten. Die Zauberin fühlte noch immer die feuchten Spritzer der Schaumkämme auf dem Gesicht, doch unter ihr lag nun kein Meer. Oder eigentlich doch – aber es war ein Meer von Gras, eine grenzenlose Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte. Triss stellte bestürzt fest, dass das, was sie sah, das Panorama war, das sich von der Anhöhe bei Sodden bot. Doch das war nicht die Anhöhe. Es konnte nicht die Anhöhe sein.
    Plötzlich wurde der Himmel dunkel, ringsum ballten sich Schatten zusammen. Sie sah eine lange Reihe von undeutlichen Gestalten, die langsam den Hang hinabgingen. Sie hörte Stimmen flüstern, die sich überlagerten, zu einem beunruhigenden, unverständlichen Chor vermischt.
    Ciri stand neben ihr, das Gesicht abgewandt. Der Wind ließ ihre aschblonden Haare wehen.
    Die nebelhaften, undeutlichen Gestalten zogen weiter vorbei, in langer, endloser Reihe. Wenn sie an ihr vorbeikamen, wandten sie den Kopf. Triss unterdrückte einen Aufschrei, als sie die gleichgültigen, ruhigen Gesichter sah, die blicklosen, toten Augen. Die meisten Gesichter kannte, erkannte sie nicht. Manche aber doch.
    Die Koralle. Vanielle. Yoël. Der Gefleckte Axel  ...
    »Wozu hast du mich hierher gebracht?«, flüsterte sie. »Wozu?«
    Ciri wandte sich zu ihr um. Sie hob eine Hand, und die Zauberin sah das Rinnsal von Blut, das an der Lebenslinie entlang zum Handgelenk floss.
    »Das ist eine Rose«, sagte das Mädchen ruhig. »Die Rose von Shaerrawedd. Ich habe mich gestochen. Es macht nichts. Das ist nur Blut. Elfenblut  ...«
    Der Himmel verdüsterte sich noch mehr, und einen Augenblick später zerriss ihn ein scharfer, blendend heller Blitz. Alles erstarrte still und reglos. Triss tat einen Schritt, um sich zu überzeugen, ob sie dazu imstande wäre. Sie

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