Das Erbe der ersten Menschheit (German Edition)
nicht, und später war Anne nie wieder zu den Ärzten gegangen.
Ich habe einfach nur geträumt.
So musste es sein. Sie hatte sich in der letzten Zeit nur noch mit den Lantis-Dokumenten beschäftigt, tausende Seiten gelesen, die die damalige Welt beschrieben. Wahrscheinlich hatte ihr Gehirn diese Informationen zu dem Traum zusammengebaut.
Anne versuchte, sich an Details zu erinnern. Das Tier mit dem langen nackten Schwanz könnte ein Vorfahre der heutigen Opossums gewesen sein. Davon hatte sie gelesen. Und der Vogel war vielleicht gar kein Vogel gewesen, sondern ein Flugsaurier. Menschen dachten automatisch, dass alle fliegenden Tiere Vögel seien, weil sie nichts anderes kannten. Anne konnte sich nicht erinnern , Federn gesehen zu haben, aber die sah man bei einem fliegenden Vogel auch nicht. Es war sowieso egal. Es war ja nur ein Traum.
Anne legte sich wieder zurück in den Farn. Den Kristallsplitter an ihrer Kette drückte sie fest auf ihre Haut. Ihre persönliche Erinnerung an die Lantis.
Was war das für eine Welt, in der sie gelebt hatten? Bis jetzt hatte sie nur davon gelesen. Fotos hatte es auf den Folien bisher nicht gegeben. Was würde sie darum geben, Bilder von damals zu sehen, richtige Fotos oder sogar einen Film. Das wäre fantastisch. Sie konnte nur hoffen, dass die Lantis einen Weg gefunden hatten, elektronische Dateien dauerhaft zu konservieren. Die Menschen hatten so etwas bisher nicht geschafft. Alle elektronischen Speichermedien waren vergänglich. Lange haltbar war kurioserweise das gute alte Papier. Und noch länger die in Stein gemeißelten Inschriften. Insofern waren die Folien schon eine beachtliche Leistung und eine gute Wahl.
In der Nähe raschelte es. Das Geräusch kam näher und wurde lauter. Anne stand auf. Da war es wieder, das Opossum. Jetzt konnte Anne es deutlich erkennen. Es schnüffelte hier und da, wohl auf der Suche nach Nahrung. Anne folgte ihm ein Stück in den Farnwald hinein. Der Farn entwickelte jetzt richtige Stämme. Obenauf saßen Wedel wie von einer Phönix-Palme, nur sehr viel größer. Das Opossum verschwand mit einem Satz in dichtem Gestrüpp. Es hatte Angst.
Der Grund der Angst näherte sich rasend schnell. Eine seltsame Kreatur wie ein übergroßes Huhn, aber mit scharfen Krallen und einem Echsenkopf kam zielstrebig auf Anne zu.
Meine Güte, was kann das schnell rennen.
„Alxasaurus“, schoss es Anne durch den Kopf. Das war noch aus einem menschlichen Lexikon. Demnachhätte dieser Saurier zur Zeit der Lantis schon ausgestorben sein müssen, aber das Wissen der Menschen darüber war extrem lückenhaft. Auch von seiner Ernährungsweise wusste man nichts, aber dieses Exemplar hier sah nicht so aus, als würde es nur an Magnolienblüten knabbern.
Die Huhn-Echse war fast heran. Sie überragte Anne deutlich, aber seltsamerweise spürte Anne keine Angst. In einem Traum konnte man Angst fühlen, sogar sehr deutlich. Das stand irgendwo in ihrem Gehirn vermerkt. Aber Anne wartete ab und trat dann einfach nur zwei Schritte beiseite.
Der Alxasaurus stürmte so dicht vorüber, dass Anne mit einer schnell ausgestreckten Hand seine struppigen Federn berührte.
Himmel, was tue ich da?
Das Tier verschwand, ohne die geringste Notiz von Anne zu nehmen.
Die Federn fühlten sich ein bisschen kratzig an. Ein winziges Stück war an ihrer Hand hängengeblieben.
Anne sog die Luft ein. Angst. Sie roch Angst. Der Alxasaurus hatte selbst Angst gehabt und war auf der Flucht. Deshalb hatte er keine Zeit für sie gehabt.
Dann fiel ein gewaltiger Schatten auf Anne.
17.
Hawker beobachtete Scheich Al-Qummi aus dem Augenwinkel heraus. Al-Qummi war tatsächlich nervös, wie ein Kind kurz vor der Bescherung. Immer wieder rieb er an seinem übergroßen Ring, als wäre es Aladins Wunderlampe.
Hawker wartete, bis die letzten Leute den Fahrstuhl verlassen hatten und sich die Tür wieder schloss. An der Seite waren mehrere Tasten von -1 bis 4. Hawker drückte keine davon, sondern steckte seinen Schlüssel in das Schloss neben der Taste für das Erdgeschoss. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Würden draußen Leute auf die Anzeige schauen, sähen sie, wie der Fahrstuhl nach -1 fuhr und dort stehenblieb. Er fuhr aber weiter.
Als sich die Fahrstuhltür öffnete, standen Hawker und der Scheich vor einer schlichten Metalltür, an deren Seite ein Iris-Scanner in die Wand eingelassen war. Hawker musste sich bücken, um sein rechtes Auge vor den Scanner zu halten. Gleichzeitig sprach er
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