Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
würde meine Hand dafür ins Feuer legen«, fügte er mit leisem Bedauern hinzu. Offenbar sah er dem jungen Mann die Beleidigungen nach.
»Ihr müsst hungrig sein«, bemerkte der Ritter schließlich freundlich und nickte dem Boten zu, der sich sichtbar erleichtert trollte. An Wulf gerichtet, sagte er ruhig: »Selbstmitleid steht einem Kämpfer nicht gut zu Gesicht!«
Kein Wimpernzucken verriet, dass dieser ihn gehört hatte. Anstatt eine Reaktion auf die Worte seines Vaters zu zeigen, starrte er lediglich in Richtung Härtsfeldsee, in dem sich glitzernd das Licht der untergehenden Sonne brach.
Irgendwo im Inneren des Katzensteiners riss ein Faden. »Wer sagt denn, dass sie nicht mehr am Leben ist?«, brauste er auf, packte den kalkweißen Wulf hart an den Schultern und bohrte den Blick in die feucht glänzenden Augen. »Vielleicht ist sie entkommen und bei Verwandten untergeschlüpft«, spann er den Gedanken weiter, und als ein kaum wahrnehmbarer Hoffnungsschimmer über das Gesicht des jungen Mannes huschte, schüttelte er diesen leicht. »Oder sie ist mit einem anderen durchgebrannt.« Dieser Schlag unter die Gürtellinie zeigte den erwünschten Erfolg, da mit einem Mal der niedergetrampelte Kampfgeist zurückzukehren schien.
Mit einem wütenden Laut streifte Wulf die Hände seines Vaters ab, zog die Brauen zusammen und spuckte empört aus: »Das würde sie niemals tun!«
Amüsiert von der Heftigkeit und Ungeschliffenheit der Empfindungen schürzte Wulf von Katzenstein die Lippen, und bevor er richtig darüber nachgedacht hatte, überraschte er sich selbst mit einem Vorschlag: »Wenn du dir dessen so sicher bist, dann geh und suche sie.«
Ein Blitz aus heiterem Himmel hätte keinen größeren Eindruck hinterlassen können. Nachdem das Feuer des Eifers zuerst aus der Miene des jungen Mannes wich, kehrte es in zwei hektischen roten Flecken auf seine Wangenknochen zurück, und er rieb die Handflächen über das erhitzte Gesicht. »Was … was ist mit dem Eid?«, stammelte er schließlich sichtlich durcheinander, doch Wulf von Katzenstein winkte wegwerfend ab. »Vergiss den Eid. Die Quarantäne ist abgelaufen.«
Wulfs Hände öffneten und schlossen sich, als wollten sie etwas Unsichtbares greifen, während an seiner Schläfe eine Ader zu pochen begann.
»Wenn sie noch lebt und du sie ausfindig machen kannst, dann bring sie hierher«, fuhr der Ritter ruhig fort und betrachtete seinen Sohn forschend. »Aber vergiss nie, dass es auch in der Trauer die oberste Pflicht eines Ritters ist, Maß zu halten.« Er ignorierte die kleine Stimme in seinem Inneren, die ihm einflüsterte, dass er selbst kein besonders gutes Beispiel in dieser Hinsicht darstellte. Was nützte es, die eigenen Unzulänglichkeiten an die große Glocke zu hängen? War es nicht sinn- und auch verantwortungsvoller, anderen dabei zu helfen, die gleichen Fehler zu vermeiden?
Sein Herz schmerzte, als der junge Mann endlich den Blick hob und er die Entschlossenheit in seinen Zügen las. So viel bedingungslose Liebe lag in den Augen, die denen seiner Mutter so sehr ähnelten, dass es dem Katzensteiner einen Stich versetzte. Eigentlich hatte er ihm lapidar vor die Füße werfen wollen, dass das Strohfeuer, das in ihm brannte, bald erlöschen würde; dass er das Mädchen vergessen und in den Armen einer anderen Trost und Erfüllung finden würde. Doch im allerletzten Moment hatte er sich an die Tiefe des Gefühls erinnert, das ihn mit Katharina von Helfenstein verbunden hatte. Er hatte sich geschworen, eher die Frucht dieser Liebe für immer zu verlieren als sich zu benehmen wie Ulrich von Württemberg. Denn wenn er seinen Sohn davon abhielt, den Verbleib seiner Geliebten ausfindig zu machen, würde dieser ihn für den Rest seines Lebens hassen, so wie Wulf den Grafen Ulrich gehasst hatte. Die Regungen, die in diesem Augenblick in ihm Widerstreit hielten, raubten ihm die Luft zum Atmen, und es hätte nicht viel gefehlt, dass er es dem Jüngeren gleichgetan und die Kontrolle verloren hätte. Was er für diesen lange verloren geglaubten Sohn empfand, war so vielschichtig und gewaltig, dass allein der Gedanke daran, ihn ziehen zu lassen und der Gefahr einer erneuten Gefangennahme auszusetzen, ihm grauenvolle Furcht bereitete. Wenn Eberhard von Württemberg ihn ein weiteres Mal zu fassen bekam, würde es keine Rettung mehr geben! Diese Tatsache hing wie ein Damoklesschwert über ihnen, auch wenn weder er noch Wulf sie ansprachen. Das Gefühl der Machtlosigkeit,
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