Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Schopf und eilte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf eine halb verfallene Kate zu, die hinter einem Wall aus hüfthohen Brennnesseln kaum zu sehen war.
Nass wie ein Hund stieß er ohne anzuklopfen die Tür auf und duckte sich in den nach Ruß und Schimmel stinkenden Raum. Einige Momente war die in der Mitte prangende Feuerstelle alles, was er wahrnahm, doch es dauerte nicht lange, bis er erkannte, dass die Behausung schon vor langer Zeit verlassen worden war. Fette Spinnenweben fraßen die Konturen der Balken, die an einigen Stellen gefährlich morsch wirkten. Während sich das Gewitter über ihm in unheimlicher Geschwindigkeit verstärkte, schleuderte Ortwin mürrisch sein Bündel in eine Ecke und ließ sich auf den mit fauligen Strohhalmen bedeckten Boden fallen. So viel zu dem Plan, noch heute in Altheim anzukommen!, grollte er und kramte in seiner Tasche nach Feuerstein, Schlageisen und Zunder. Wenn er schon die Nacht in diesem Bau verbringen musste, dann nicht ohne ein Feuer. Denn soviel war dem Toben der Elemente zu entnehmen: vor Einbruch der Nacht würde es ganz gewiss nicht abflauen.
Kapitel 44
Burg Katzenstein, 7. August 1368
»Wenn Ihr keine Beweise habt, solltet Ihr von solchen Beschuldigungen absehen«, stieß Wulf von Katzenstein mühsam beherrscht hervor und funkelte den Grafen Ludwig von Oettingen kampfeslustig an. »Ihr habt es doch gehört. Weit und breit keine Spur von einer Hexe! Und eine verlassene Kate irgendwo im Wald belegt gar nichts.« Er lächelte kalt. »Ohnehin, wer sollte den im Ärger vorgebrachten Lügen eines Knappen glauben, der offensichtlich keinen Funken Ehre im Leib hat?!«
Dieser Hieb saß. Die Anstrengung, die es den Grafen kostete, Wulf nicht den eisernen Handschuh vor die Füße zu schleudern, ließ sein schmales Gesicht zu einer Maske gefrieren. »Wenn sie nicht meine Schwester wäre«, presste er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und gab seinem Sohn Friko mit einer Kopfbewegung zu verstehen, aufzusitzen, »dann würde ich auf einem Gottesurteil bestehen!« Seine grauen Augen funkelten gefährlich, als er hinzusetzte: »Aber seid versichert, dass ich jeden Tag dafür beten werde, dass Ihr die Rechnung bezahlen müsst, die Ihr dem Teufel schuldig seid!«
Damit schwang auch er sich in den Sattel seines Reittieres, wendete den Hengst mit einem harten Tritt in die Flanken und preschte – ohne die hinter Wulf zurückgewichene Adelheid eines weiteren Blickes zu würdigen – durch den Torbogen davon.
»Dem Herrn sei Dank«, murmelte die zierliche junge Frau, als auch Frikos Schopf von dem Abhang verschluckt worden war. Ihr herzförmiges Gesicht war so fahl, dass es wirkte, als sei es aus Wachs gearbeitet, und auch in den wasserblauen Augen waren deutlich die Befürchtungen zu lesen, die ihr auf der Seele gebrannt hatten.
Wulf schnaubte verächtlich und drückte beruhigend die kalte Hand, die sie in seine Pranke schob. »Er sollte lieber beten, dass diese Ausgeburt der Hölle ihn nicht im Schlaf erschlägt, um ihr Erbe früher anzutreten«, stieß er abfällig hervor und legte den Arm um Adelheids Schultern, die immer noch leicht bebten. »Hab keine Angst«, sagte er beschwichtigend und führte sie die Treppen zur Halle hinauf, die zu dieser Tageszeit verlassen dalag. »Hunde, die bellen, beißen nicht.« Damit hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn und machte Anstalten, sich von ihr abzuwenden, doch sie hielt ihn mit einem sanften Griff zurück.
»Ich liebe dich«, flüsterte sie und blinzelte, um die in ihren Augen schwimmenden Tränen zu vertreiben.
Gerührt und besitzergreifend zugleich beugte Wulf sich zu ihr hinab, umschlang ihren zierlichen Körper und presste seine Wange in ihr weiches, duftendes Haar. »Ich werde niemals zulassen, dass dir jemand ein Leid zufügt, Liebste«, erwiderte er ernst und setzte nach einigen Atemzügen hinzu: »Aber jetzt solltest du den Rat der Hebamme befolgen und dich ausruhen.«
Nachdem ihre schmale Gestalt in der Tür verschwunden war, stieß er einen erleichterten Seufzer aus und machte sich auf den Weg zu den vor der Burgmauer gelegenen Koppeln, wo sein Sohn ihn sicher bereits erwartete. Zwar hatte der Ritter nicht wirklich befürchtet, dass Ludwig von Oettingen ihm oder seiner Gemahlin gefährlich werden würde, doch wer konnte schon die Rachegelüste eines gedemütigten Vaters einschätzen? Und wenn der Graf seine Drohung wahr gemacht und Adelheid bei der Geistlichkeit angezeigt hätte, dann hätten sich
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