Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Bauwerk mit leisem Bedauern, doch dann schüttelte er die Reue ab und steuerte auf Zehenspitzen auf das Doppeltor zu seiner Rechten zu. Die wenige Zeit, die ihm noch blieb, bevor die Festung zum Leben erwachte, wollte er in aller Ruhe im Stall zubringen – dem einzigen Ort, an dem er sich fast wie zu Hause gefühlt hatte. Vorsichtig, um die Tiere nicht zu stören, huschte er die Sattelgasse entlang zur Box seines Wallachs, schob den Riegel zurück und schlüpfte hinein. Der Falbe, der bereits gelangweilt an dem Heu in seiner Krippe zupfte, hob neugierig den Kopf und schmiegte sich an Wulfs Schulter, als dieser ihm den Hals tätschelte.
Der vertraute Duft von Stroh und Pferdedung stieg ihm in die Nase, als er sich in einer Ecke der Box auf den Boden gleiten ließ, die Beine an die Brust zog und den warmen Atem des Falben in seinem Nacken genoss. Wenn die Welt für ihn doch nur genauso einfach wäre wie für ein Pferd, dachte er sehnsüchtig und stützte das Kinn auf die Knie. Die Entscheidung, die er in der Nacht getroffen hatte, tat so entsetzlich weh, dass er sie ein ums andere Mal verworfen hatte, bevor er die Unausweichlichkeit dieses Schrittes begriffen hatte. Er konnte sich nicht für den Rest seiner Tage vor Eberhard von Württemberg verstecken, denn – und auch diese Erkenntnis hatte schon lange in ihm geschlummert – dadurch wurde die Burg zu nichts anderem als einem geräumigeren Gefängnis.
Mit einem traurigen Lächeln schob er das Maul des Wallachs zur Seite, als dieser ihn spielerisch stupste. Er würde den Vater, den er gerade erst gefunden hatte, wieder verlassen, um zu seinem alten Leben zurückzukehren. Eine Träne rollte seine Wange hinab und tropfte ins Stroh. Wieso konnten die Dinge nicht anders sein?, grübelte er verbittert und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Warum hatten sie sich nicht unter anderen Umständen treffen und kennenlernen können? Vielleicht hätte er dann die Liebe empfinden können, die er seinem leiblichen Vater eigentlich schuldete. Er machte sich mit einem Seufzer Luft. Ganz egal, wie sehr er versucht hatte, dem Ritter den Platz in seinem Herzen zu geben, der ihm zustand, es war nicht möglich gewesen.
Zwar empfand er eine beinahe unheimliche Bindung zu dem aufbrausenden Katzensteiner, in dem er so viele seiner eigenen Charaktereigenschaften wiedererkannte; doch gehörte die Stelle, die dieser eigentlich hätte einnehmen müssen, bereits einem anderen. Bertram Steinhauers Gesicht schien ihm ermutigend aus der Dunkelheit zuzulächeln.
»Egal wie schwer es ist, gib niemals auf«, hörte er den Steinmetz sagen und biss sich auf die Unterlippe, um diese davon abzuhalten zu zittern. Straßburg war sein Zuhause, und er würde immer ein Steinmetz bleiben. Kein Lanzenstechen oder Schwertkampf barg für ihn die gleiche Faszination wie die glatte, schimmernde Oberfläche eines noch unbearbeiteten Steins. Kein komplizierter Tanzschritt würde ihn jemals so mit Begeisterung erfüllen wie das organische Zusammenspiel unterschiedlicher Werkstoffe.
Bevor er sich weiter in seinen Gedanken verstricken konnte, ließ ihn das Wiehern eines der Vollblüter aufschrecken. Ehe das mulmige Gefühl in seiner Magengegend ihm die Knie in Butter verwandeln konnte, stemmte er sich auf die Beine und griff nach dem Halfter seines Falben. Es war Zeit aufzubrechen. Egal wie sehr er dem Abschied aus dem Weg gehen wollte, es nutzte nichts, das Unvermeidliche aufzuschieben. Mit entschlossen aufeinandergepressten Lippen führte er das prachtvolle Tier in die Sattelgasse, legte ihm Zügel und Zaumzeug an und schwang schließlich den schweren Sattel auf seinen Rücken. Das Herz schlug ihm bis in die Kehle, als er den Wallach endlich auf das Stalltor zuführte, um sich zur vereinbarten Stunde von Wulf von Katzenstein zu verabschieden.
Die Sonne hatte den Horizont noch nicht überschritten, und die Silhouette des hochgewachsenen Katzensteiners war nicht viel mehr als ein verwaschener Schatten, als er nach einigen Minuten auf den Stufen vor dem Palas erschien. Wulfs Handflächen, die inzwischen mit einem klebrigen Schweißfilm überzogen waren, fühlten sich klamm an, und das Schlucken schien ihm mit jedem Schritt, den der Ritter sich ihm näherte, schwerer zu fallen.
»Mein Sohn«, begrüßte ihn sein Vater, und diese beiden Worte hätten beinahe genügt, dass Wulf seinen Plan wieder verworfen hätte. Seine Augen brannten, als er zu seinem Gegenüber aufblickte.
»Vater«, flüsterte er rau, und
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