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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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helfen!«, blaffte er, doch bevor er ihr einen Schlag versetzen konnte, fiel sein Blick auf die aufgeschlitzten Säcke. Ohne zu begreifen, registrierten seine Augen den Schaden, und den Bruchteil des Augenblicks, den er abgelenkt war und den schraubstockartigen Griff lockerte, nutzte das Mädchen, um sich zu befreien. Mit dem Mut der Verzweiflung biss sie ihn in die Hand und schlüpfte zwischen seinen Beinen hindurch, als er sie aufheulend losließ. Sie rutschte über die mit Kornhülsen bedeckten Bretter, sprang zu Boden und rannte keuchend auf den Waldrand zu, der in weniger als dreißig Schritt Entfernung lockte. Als einem lang gezogenen Fluch das Trampeln schwerer Tritte folgte, schickte sie einen ängstlichen Blick über die Schulter zurück und wäre um ein Haar über einen dürren Ast gestolpert, der in einem Haufen vergilbter Grashalme steckte. Während der Hüne in Windeseile aufholte, begannen ihre Lungen zu stechen, und sie überlegte bereits, sich zu erkennen zu geben, als ein gellender Pfiff den Knecht das Tempo drosseln ließ.
    »Lass den Bengel!«, brüllte sein Begleiter, der sich am Vorderrad des Wagens zu schaffen machte. »Ich brauche deine Hilfe.«
    So nah war der erzürnte Mann, dass Brigitta seine Zähne aufblitzen sah, als er zornig die Oberlippe nach oben zog. Die Schimpftirade, die er ihr hinterherschickte, wurde von einem zweiten Pfiff übertönt, und während Brigitta sich mit letzter Kraft durch dürres Dickicht schlug, machte er kehrt und trottete zurück zum Wagen.
    Obwohl ihr Herz zu zerspringen drohte, taumelte sie noch einige Schritte tiefer in das Zwielicht des Waldes, bevor sie sich heftig schwitzend am Fuße einer Eiche ins Moos fallen ließ. So viel zu ihrem wundervollen Plan!, dachte sie wütend und presste die Hände in die Seiten, um das Stechen zu lindern. Nicht nur hatte der Kerl sie entdeckt; er hatte auch ihre Hoffnung zerschmettert, schnell und sicher nach Ulm zu gelangen!
    Warum hatte der Karren auch stecken bleiben müssen?!, haderte sie und hustete, da sie zu gierig nach Luft geschnappt hatte. Beinahe hätte sie sich übergeben, als sich ihr Zwerchfell verkrampfte, doch in allerletzter Sekunde gelang es ihr, die bitter aufsteigende Galle wieder ihre Kehle hinabzuzwingen. Sie musste sich zusammenreißen! Mit fest aufeinandergepressten Lippen starrte sie auf ihre Füße, die in einfachen, dünn besohlten Schuhen steckten, während sich ihre Gedanken überschlugen. Jetzt würde sie sich allein durchkämpfen müssen. Und der Wald barg eine Unzahl von Gefahren. Sie schauderte, als sie an all die wilden Tiere und Wegelagerer dachte, die angeblich in den Forsten des Reiches ihr Unwesen trieben.
    Mit einem Mal schien die Hitze wie aus der Luft gewischt, und sie zog sich die Gugel tiefer ins Gesicht. Ein Gutes hatte die Sache, dachte sie säuerlich und verzog den Mund zu einem freudlosen Lächeln. Wenigstens wusste sie jetzt, dass ihre Verkleidung funktionierte. Denn hätte er sie erkannt, hätte der Knecht sicherlich nicht so heftig reagiert.
    Da sich das Brennen in ihren Muskeln allmählich legte, rappelte sie sich auf und schlich auf leisen Sohlen zurück zum Waldsaum, um vorsichtig hinter dem Stamm einer mächtigen Esche hervorzulugen. Mit gemischten Gefühlen sah sie, dass es den beiden Männern inzwischen gelungen war, das Rad zu befreien und das Fuhrwerk in Gang zu setzen. Halb verschleiert von einer dicken Staubwolke holperte der Marktkarren bereits in einiger Entfernung weiter auf sein Ziel zu, und während die Übelkeit mit zunehmender Heftigkeit in Brigitta gärte, entfernte er sich bald so weit, dass er flimmernd am Horizont verschwamm. Als sich ihr Magen erneut umdrehen wollte, kramte sie ungehalten in dem kleinen Bündel, das sie geschnürt hatte, und zog das verkorkte Tongefäß hervor, das Clementine ihr beim Abschied in die Hand gedrückt hatte. »Wenn dir schlecht ist, nimm einen Schluck«, hatte die Schwester Brigitta geraten, bevor sie diese an sich gedrückt und mit Tränen in den Augen auf beide Wangen geküsst hatte. »Du wirst ihn finden.« Die Worte hallten noch immer in Brigittas Kopf nach – und wie sehr sie sich wünschte, dass Clementine recht behielt!
    Mit gerümpfter Nase zwang sie sich, den bitteren Saft zu schlucken, der beinahe augenblicklich das Unwohlsein linderte. Mit unsicheren Händen verstaute sie die Medizin wieder und machte sich seufzend auf, dem Wagen zu folgen. So lange es möglich war, würde sie den Wald meiden, da sie nicht

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