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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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wusste, wovor sie sich mehr fürchtete: vor Wölfen und Luchsen oder den erbarmungslosen Dieben und Mördern, die ihre Opfer erst erschlugen, bevor sie sie bestahlen.
    Während der ekelhafte Trank seine Wirkung tat, folgte sie mit energischen Schritten der Straße bis zu einer Weggabelung, an der sie nach einigem Zögern rechts in einen Trampelpfad abbog, der steil den Abhang hinaufführte. Sie würde die Abkürzung über Ballendorf nehmen, beschloss sie und erklomm keuchend den vom Regen zerfurchten Weg, der einen Tannenhain durchschnitt. Je schneller sie Ulm erreichte, desto besser. Zum Teufel mit ihrer Hasenfüßigkeit!
    Ihre Hand suchte ihren Bauch, der trotz der Neuigkeit, die Clementine ihr eröffnet hatte, noch trügerisch flach war. Nachdem die Schwester Brigitta von dem Misthaufen in den Gesindebau geführt hatte, hatte sie das Mädchen einer bohrenden Befragung unterzogen. Und als sie am Urin der jungen Frau gerochen hatte, hatte Clementine lachend festgestellt: »Kein Wunder, dass dir jeden Morgen schlecht ist. Du bist schwanger!«
    Ein schiefes Lächeln huschte über Brigittas Gesicht, als sie einen Knüppel vom Wegesrand aufhob, um diesen als Wanderstab zu benützen. Mit einer Mischung aus Hochstimmung und Unbehagen trieb sie den Stock in den zerklüfteten Untergrund und beschleunigte das Tempo. Sie musste Wulf finden! Das war sie dem Kind, das sie von ihm trug, schuldig. Und nicht nur dem Kind, dachte sie wehmütig, als sich die Sehnsucht nach ihm in der inzwischen wohlbekannten Art und Weise in ihr Herz fraß.
    Während ihr der Schweiß aus allen Poren trat, versuchte sie die Ängste zu verjagen, die sie immer wieder bange fragen ließen, ob Gott sie dafür büßen lassen würde, dass dieses Kind in Sünde gezeugt worden war. Was, wenn seine Geißel Wulf schon längst getroffen hatte?
    Die dunklen Schatten der Tannenwipfel waren inzwischen der Weite der Hochebene gewichen, die – so weit das Auge reichte – von abgeernteten Feldern bedeckt war. Wenngleich ihre Beine vor Anstrengung zitterten, ruhte sie lediglich einige Momente aus, bevor sie weitereilte. Würde Gott sie wie so viele andere Frauen in die Hölle reißen, indem er ihr einen qualvollen Tod im Kindbett bereitete, bevor sie sich nach der Unreinheit der Geburt mit der Kirche ausgesöhnt hatte?, marterte sie sich. Oder würde er gar das Neugeborene für die Sünde der Eltern bestrafen, indem er es ohne das Sakrament der Taufe tot zur Welt kommen ließ? Ihre Hände fühlten sich klamm an, als sie sich die inzwischen zu warme Gugel vom Kopf zog und den Schweiß von der Stirn wischte. Nachdem sie ihr langes Haar so geflochten hatte, dass es von Weitem aussah wie das eines Knaben, grübelte sie weiter. Zwar besaßen beinahe alle Hebammen eine mit Weihwasser gefüllte Taufspritze, um die Ungeborenen noch im Leib der Mutter zu taufen, doch was, wenn die Hebamme zu spät kam? Die Kraft in ihren Oberschenkeln schien mit jedem Schritt zu schwinden, als sie sich vorstellte, wie sie neben ihrem leblosen Kind – nur in ein einfaches Leintuch gewickelt – vor den Toren der Stadt in ungeweihter Erde verscharrt würde. Bevor diese düsteren Überlegungen ihr den nur mühsam aufrechterhaltenen Mut vollends nehmen konnten, traf sie die Erkenntnis:
    Wenn Gott sie hätte strafen wollen, dachte sie rebellisch, warum hatte er sie dann nicht an der Pest sterben lassen wie so viele andere Unglückliche? Sie griff nach dem Kruzifix, das an ihren Hals hing und hielt einen Augenblick inne, um ein reumütiges Dankgebet zu sprechen. Der Herr war barmherzig! Er würde ihr verzeihen, so wie er Clementine und Thomas vergeben hatte. Hatte er nicht dafür gesorgt, dass das Leben der beiden eine ganz entscheidende Wendung genommen hatte? Dass Clementines Sorgen zerschlagen worden waren wie brüchiger Ton?
    Da es einfacher war, über andere nachzudenken, malte Brigitta sich aus, wie es den beiden in Zukunft ergehen könnte. Während die Sonne immer höher stieg, stellte sie sich vor, wie ihre Schwester in einigen Jahren als Gemahlin des Meiers eine der wichtigsten Frauen des Dorfes sein würde. »Ich werde immer an euch denken«, murmelte sie, doch obschon ihr der Abschied schwergefallen war, tröstete sie die Tatsache, dass Clementine in guten Händen war. Thomas liebte sie, das war offensichtlich.
    Mit einem Blinzeln lenkte sie ihre Aufmerksamkeit zurück auf den vor ihr liegenden Weg, und nachdem sie einige Stunden in praller Hitze gegangen war, gab sie dem inzwischen

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