Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
gleichgültigen Achselzucken ab, saß wieder auf und sagte eisig: »Weit können sie ja noch nicht sein.«
Damit ließ er die junge Frau stehen, wendete seine Stute und galoppierte in Richtung Hungerbrunnental davon.
Wenn der Karren der Straße nach Ulm folgte, gelang es ihm vielleicht, diesen einzuholen, bevor Brigitta im Getümmel der Stadt untertauchte. Mit fest aufeinandergebissenen Zähnen ließ er seinem Reittier freien Zügel und galoppierte den Abhang in das lang gezogene Tal hinab, an dessen Ende sich das schmale Band des Weges zurück auf die Hochebene schlängelte. So fixiert war er auf diesen Punkt am Horizont, dass er um ein Haar das halb vermoderte Schild übersehen hätte, das einen steilen Anstieg hinaufzeigte.
»Ballendorf und Ulm«, murmelte er, verlangsamte die Gangart und riss den Zügel brutal nach rechts. Wenn seine Orientierung stimmte, handelte es sich bei diesem ausgetretenen Trampelpfad um eine Abkürzung – die ihm der Himmel geschickt haben musste. Seine Mundwinkel verzogen sich spöttisch. Oder war es vielleicht eher ein Geschenk des Teufels, der die Schuld, in der Ortwin stand, noch vergrößern wollte?
Das unwillige Schnauben des Tieres ignorierend, jagte er es den Hügel hinauf und ließ – oben angekommen – den Blick in die Ferne schweifen. Einen Moment lang verschwamm seine Sicht, als ihn erneut Schwindel überfiel, doch nachdem sich dieser so schnell gelegt hatte, wie er gekommen war, hieb er ungeduldig auf den Pferdehals ein. Wenn er sich beeilte, würde es ihm vielleicht gelingen, den Karren abzupassen. Und dann Gnade dir Gott!, dachte er grimmig, als er sich ausmalte, wie es sich anfühlen würde, endlich Hand an Brigitta zu legen.
Kapitel 48
Ulm, 9. August 1368
In schwindelerregender Geschwindigkeit flog die Landschaft an Wulf vorbei. Umtanzt von einem Schwarm blutgieriger Pferdebremsen preschte er die gepflasterte Straße von Dillingen nach Gundelfingen entlang, von wo aus er sich – längs der Donau – nach Ulm wenden würde.
Da ihn die Hitze und die damit einhergehende Erschöpfung seines Wallachs am vergangenen Spätnachmittag dazu gezwungen hatten, eine Rast einzulegen, war er in die Residenzstadt des Fürstbischofes von Augsburg eingeritten, um sich nach einer Unterkunft umzusehen. Er hatte sich gerade für eine der unzähligen Herbergen im Zentrum Dillingens entschieden, als er von einem reich gekleideten Händler angesprochen worden war.
»Mein Herr«, hatte dieser ihn ehrerbietig begrüßt. »Gewährt mir die Ehre, mein Gast zu sein.« Damit hatte er auf Wulfs Wappenrock gezeigt und sich leicht verneigt. »Mein Haus ist das Haus eines jeden, der die Farben meines alten Freundes trägt.«
Bevor Wulf sich mit einer fadenscheinigen Ausrede aus der Affäre hatte ziehen können, hatte der Mann ihm die Hand gereicht, um ihm aus dem Sattel zu helfen. Daraufhin war wie aus dem Nichts ein etwa neunjähriger Knabe aufgetaucht, der Wulfs Falben in einen nahe gelegenen Hof geführt hatte.
»Kommt.« Stolz war er in ein blendend weiß getünchtes Fachwerkhaus geleitet worden, das mehr Räume zu haben schien als die Burg seines Vaters.
Wulf grinste, als er sich an den Rest des Abends erinnerte, den er zum Großteil damit verbracht hatte, dem klimpernden Blick der Tochter des Händlers auszuweichen. Zuerst war er verwirrt gewesen. Doch als sich im Laufe des Gesprächs herausgestellt hatte, dass der Mann – der sich als Albrecht Tuchscherer vorstellte – ein Handelspartner des Ritters Wulf von Katzenstein war, hatte er sich zurückgelehnt und die Aufmerksamkeiten genossen.
Ein tief hängender Ast riss ihn in die Gegenwart zurück, und in buchstäblich letzter Sekunde duckte er sich, um dem gefährlichen Hindernis auszuweichen. Als der trockene Boden unter ihm etwas sicherer wurde, verstärkte er den Schenkeldruck und trieb seinen Wallach weiter an.
Zuerst hatte er sich wie ein Hochstapler gefühlt, hatte befürchtet, dass jemand den Schwindel aufdecken und seine wahre Identität entdecken könnte – bis ihm klar geworden war, dass der Siegelring an seinem Finger und der Wappenrock seines Vaters von jetzt an immer ein Teil von ihm sein würden.
Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ ihn aufblicken. Ohne dass er es gemerkt hatte, war der Verkehr auf der breiten Straße dichter geworden, und er zügelte seinen Wallach zu einem langsamen Trab, um niemanden zu überreiten. Geschickt lenkte er das Tier durch die ihm entgegenströmenden Wagen, Reiter und
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