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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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vordringenden Hitze des Tages fröstelte. Was dann geschehen war, hätte sie eigentlich mit Erleichterung erfüllen müssen, doch der zwingende Schluss, zu dem sie inzwischen gekommen war, ließ eine ganz andere Furcht zurückkehren. Nachdem Ortwin sich die Seele aus dem Leib gespuckt hatte, hatte er zitternd nach ihr getastet, sich mit letzter Kraft aufgerichtet und sie – unbekleidet wie sie war – erneut gefesselt. Dann war er röchelnd und schwitzend auf der Matratze zusammengebrochen und seitdem noch nicht wieder erwacht. Allerdings hatte das silberne Mondlicht deutlich die dunkel eingefärbten Beulen in seinen Leisten und an den Ellenbogen hervortreten lassen – und das war es, was Brigitta mit namenloser Panik erfüllte: Ortwin hatte die Pest!
    Ein Stöhnen ließ sie mit klopfendem Herzen den Kopf heben. Offensichtlich fiebernd wälzte sich ihr Peiniger hin und her, doch da noch nicht einmal das durchdringende Läuten der Kirchenglocken ihn geweckt hatte, hoffte Brigitta, dass er noch mindestens so lange bewusstlos blieb, bis sie sich aus der Kammer geschlichen hatte. Beißend hing der Gestank seines Erbrochenen in der Luft, und wie schon die halbe Nacht hindurch versuchte Brigitta, nicht durch die Nase zu atmen. Behutsam löste sie die letzten Knoten, schnürte Hemd und Hose zu und lauschte angespannt auf die unregelmäßigen Atemzüge des Steinmetzen. Wenn ihr Plan aufging, war sie schon bald in Sicherheit!
    Wie sie die Dorfbewohner davon überzeugen würde, sie gehen zu lassen, wusste sie bereits, denn nicht umsonst wurde die Pest als Strafe Gottes angesehen. Und wenn jemand verdient hatte, dass diese Geißel ihn traf, dann war es Ortwin! Das war auch der einzige Gedanke, der sie während der unruhigen Nacht immer wieder mit Hoffnung erfüllt hatte – nur um wenig später von der Sorge verdrängt zu werden, dass der Herr auch Grund genug hatte, ihren eigenen Ungehorsam zu ahnden.
    Schutzsuchend tastete sie nach der Korallenkette mit dem Kruzifix und begann lautlos zu beten: Herr, behüte mich und lasse Dein Angesicht leuchten über mir. Herr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott und mein Schutz! Führe mich auf rechter Straße um Deines Namens willen. »Amen«, setzte sie leise flüsternd hinzu.
    Mit Tränen in den Augen hob sie den Blick, versicherte sich, dass Ortwin immer noch nicht erwacht war und machte gerade Anstalten, sich an der Wand in die Höhe zu schieben, als sie ein donnerndes Klopfen zusammenzucken ließ.
    »Aufmachen!«, dröhnte der Wirt, der offenbar mit den Fäusten gegen die Tür hieb. »Es ist bald Mittag. Wenn Ihr noch einen Tag bleiben wollt, müsst Ihr erst bezahlen!« Weitere Hiebe gegen das Holz folgten, bis Ortwin endlich mit einem Grunzen aus seinem tiefen Schlaf aufschreckte und sich mit unsicheren Händen an den Kopf fasste.
    »Was …?«, nuschelte er und tastete nach dem Wasserkrug neben dem Bett. Mehrere Versuche, diesen an die Lippen zu führen, scheiterten, und als es ihm endlich gelang, rann ein Großteil der Flüssigkeit an seinem Kinn hinab und tropfte in die Kissen.
    »Macht auf!«, forderte der Wirt, dessen Laune sich deutlich von der am gestrigen Tag unterschied. »Bezahlt oder geht.«
    Bevor Ortwin die Beine über die Bettkante schwingen konnte, streifte Brigitta die Lähmung ab, rappelte sich auf und eilte zur Tür. Nachdem sie den Riegel beiseite geschoben hatte, ließ sie den Wirt ein, der wortlos auf das Bild starrte, das sich seinen Augen bot. Innerhalb weniger Lidschläge schien er zu begreifen, dass etwas mit seinem Gast nicht stimmte, woraufhin er sich nach dessen Kleidern bückte, sie Ortwin mit spitzen Fingern zuwarf und mürrisch fragte: »Wollt Ihr noch eine Nacht hierbleiben?«
    Ob oder was für eine Antwort ihr Bedränger dem Mann gab, hörte Brigitta nicht mehr, da sie sich bereits auf Zehenspitzen in den Schankraum geschlichen hatte, der bis auf einen einsamen Reisenden leer und verlassen war. Mit gesenktem Kopf huschte sie an diesem vorbei, schlüpfte ins Freie und kniff geblendet die Augen zusammen.
    So grell stach die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, dass es ihr nach der Düsternis der Schlafstube vorkam, als blicke sie direkt in eine Flamme. Ungeachtet dessen stolperte sie halb blind von der Schenke fort, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Ortwin zu bringen. Einige Zeit lang tanzten bunte Kreise und Punkte vor ihren Augen, die jedoch nach wenigen Momenten wieder verblassten. Nachdem sie sich auf dem menschenleeren

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