Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Ulrich außer Euch noch Meister Gerhard als zukünftigen Schwiegersohn in Betracht zieht.« Der schmale Mund zuckte schadenfroh, und nur unter Aufbietung all seiner Selbstbeherrschung hielt Ortwin sich davon ab, die Faust im Gesicht des Schacherers zu platzieren. »Entweder Ihr verpfändet Eure Arbeitskraft an mich, oder Ihr könnt den Kredit vergessen!« Er zögerte kurz, bevor er mit einem meckernden Lachen hinzufügte: »Ihr könnt natürlich auch betteln gehen, um das Geld für Eure Meisterfeier zusammenzubringen. Das heißt, falls Ihr eine Lizenz erhaltet.« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und er tippte ungeduldig auf die Stelle, an der Ortwins Name fehlte. »Also hört auf, Euch zu zieren und unterschreibt. Meine Geduld ist nicht ohne Grenzen!«
Obwohl er dem in seinen bauschigen Gewändern beinahe ertrinkenden Mann die Pest an den Hals wünschte, blieb Ortwin keine andere Wahl, sodass er nach dem Federkiel griff und mit zitternder Hand seine Unterschrift neben die gewaltige Summe von vierzig Gulden setzte, die zwei vollen Jahresgehältern entsprach.
»Na also«, bemerkte der Verleiher mit einem zufriedenen Feixen. »Dreißig Prozent Zins. Das ist ja beinahe ein Geschenk!«
Ortwin schluckte trocken und verfolgte angespannt, wie der Mann mit einem der unzähligen Schlüssel an seinem Bund das schwere Schloss einer Truhe öffnete und klimpernde Münzen in ein ledernes Beutelchen schaufelte.
»Ihr vertraut mir wohl nicht?«, fragte der Geldverleiher säuerlich, als sein Besucher daraufhin den Betrag auf den Tisch schüttete und sorgfältig nachzählte.
»Seit wann vertraut man einer Schlange?«, versetzte Ortwin bissig und befestigte die Geldkatze an seinem Gürtel, nachdem er sich versichert hatte, dass alles korrekt war. Wenn Meister Ulrich die Hand seiner Tochter tatsächlich einem anderen geben wollte, hatte er soeben seine Freiheit verwirkt! Denn auf keinen Fall würde es ihm in der von dem Halsabschneider festgesetzten Frist gelingen, den Betrag zurückzuzahlen. Was zur Folge haben würde, dass er faktisch zu dessen Sklaven wurde. Die Unruhe in seiner Brust verstärkte sich, und bevor er es sich anders überlegen und dem Mann das Pergament wieder entreißen konnte, um den Handel rückgängig zu machen, tippte er sich gespielt lässig an die Kappe und machte Anstalten, sich zu entfernen.
»Vergesst nicht, dass die erste Zinszahlung am Tag nach Fronleichnam fällig ist«, schickte ihm der Rothaarige hinterher, bevor Ortwin die Tür hinter sich zuschlug. Was für ein ekelhafter Wurm!, grollte er, als er an den Bediensteten des Hauses vorbei durch den Hof auf die Straße stob, wo er mit heftig klopfendem Herzen innehielt, um Atem zu schöpfen. Schwer schmiegte sich der prall gefüllte Beutel an seine Seite, und als er nach einigen Augenblicken etwas ruhiger in Richtung Leonhardstor aufbrach, formte sich bereits ein Plan in seinem Kopf. Zuallererst würde er in eine Herberge umziehen, um allen kundzutun, dass es nur noch einer Formalität bedurfte, bevor er in den Stand eines Meisters erhoben wurde. Und dann würde er sich seines Nebenbuhlers entledigen – und zwar ein für alle Mal. Was den einen, aber entscheidenden Nachteil eines Umzuges mehr als wettmachen würde, da er dadurch sicherstellte, dass die schöne Brigitta bald für immer ihm gehörte. Allein dieses Wissen würde es ihn verschmerzen lassen, dass er sie nicht mehr so häufig zu Gesicht bekommen würde wie bisher. Die Erinnerung an das Entsetzen in ihrem Blick, als er ihrem Vater die Hand geschüttelt hatte, vertrieb die Wut auf den Geldverleiher. Wie entzückend sie erst in der Hochzeitsnacht aussehen würde, wenn sie unter ihm schrie und flehte, weinte und sich wand!
Heiße Erregung schoss durch seine Adern und trieb ihm den Schweiß auf die Oberlippe. Er musste sich konzentrieren! Mit langen Schritten eilte er die Bockgasse entlang, bis diese sich mit der Steingasse kreuzte und betrat ein einfaches, aber sauber wirkendes Gasthaus, dessen Name Zum Grünen Baum lediglich von einer krüppeligen, halb kahlen Linde herrühren konnte. Nachdem er eine der kleinen Dachkammern von dem katzbuckelnden Wirt gemietet hatte, verbarg er einen Teil des Geldes unter einer losen Bodendiele, stopfte sich einige Münzen in die Taschen und zog sich die Kapuze seines Mantels über den Kopf. Bei dem, was er vorhatte, wollte er auf keinen Fall von jemandem erkannt werden. Noch immer pulsierte die Erregung hart zwischen seinen Beinen, und nur widerwillig
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