Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
gekleidete Frau, deren Tracht sie als Hebamme auswies. Nachdem diese sich kurz vor der Herrin des Hauses verneigt hatte, zog sie einige kleine Beutelchen aus einem Bündel und reihte sie auf einer der Bänke auf.
»Wie von Euch bestellt: Petersiliensamen, Samen von Fenchel, Sellerie, Majoran, Thymian und Lavendel«, zählte sie auf und griff erneut in die Tasche. »Aronstab, Mutterkorn, Bibernellenwurzeln, Bohnenkraut und Rattenkot.« Damit streckte sie die Handfläche aus, in die Anna von Ensingen einige Geldstücke zählte.
Als die alte Frau wieder verschwunden war, lächelte Brigittas Mutter schwach und wies auf die kleinen Säckchen. »Wenn du ein Kind erwartest, es aber nicht austragen willst, kochst du dir einen Sud aus einem oder mehreren dieser Kräuter.« Brigitta riss erstaunt den Mund auf. »Wenn du verhindern möchtest, dass du empfängst«, sprach Anna weiter, »dann tränke ein Stück Baumwolle mit dem Saft der Osterluzei und lege es in deine Scheide.«
Sie schwieg einen Moment, den Brigitta ausnutzte, um ungläubig zu fragen: »Habt Ihr das jemals getan?«
Der schuldbewusste Ausdruck auf den Zügen ihrer Mutter beantwortete die Frage besser als alle Worte. »Es gibt Situationen, in denen wir Frauen auf uns allein gestellt sind. Das darfst du niemals vergessen«, murmelte Anna und drückte Brigitta das Büchlein in die Hand. »Die Zeichnungen werden dir viel erklären«, beschied sie ihr und machte Anstalten, sich zu erheben. »Es enthält auch ein paar Geschichten von Boccaccio.« Erneut verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln. »Es ist nicht alles schlimm. Einige Dinge machen durchaus Spaß.«
Niemals zuvor hätte Brigitta ihre Mutter schelmisch genannt, doch das Funkeln, das ihre braunen Augen in diesem Moment aufleuchten ließ, verlieh ihr das Aussehen eines jungen Mädchens. »Mutter«, flehte Brigitta, bevor sich Anna von Ensingen von ihr abwandte. »Könnt Ihr ihn bitten, mich nicht mit Ortwin zu vermählen?« Die Dringlichkeit der Bitte ließ ihre Mutter die Brauen heben. »Er«, stammelte die junge Frau, »er ist widerlich!«
Es war heraus! Ihre Unterlippe bebte, als Anna sich wieder neben sie sinken ließ und ihre Hände in die ihren nahm. »Ich kann versuchen, ihn zu beeinflussen«, versetzte sie. »Aber wenn dein Vater Ortwin ausgewählt hat, werde ich ihn sicherlich nicht dazu bringen, seine Meinung zu ändern. Ich weiß, dass es mehrere Bewerber um deine Hand gibt«, setzte sie beruhigend hinzu. »Und ich kann mir vorstellen, dass Ortwin nicht die beste Partie ist.« Der Stein, der Brigitta bei diesen Worten vom Herzen fiel, war gewaltig. »Es wird ja auch nicht gleich morgen geschehen«, beschwichtigte Anna ihre Tochter weiter. »Dein Vater hat einzig und allein befohlen, dich auf die Ehe vorzubereiten. Vergiss nicht die Brautwerbung. Es wird allein Wochen dauern, bis die Männer sich über die Höhe der Mitgift einig werden.« Sie drückte Brigittas Hand und erhob sich endgültig. »Lies das. Es wird dir die Angst nehmen.« Mit diesen Worten wandte sie sich dem Ausgang zu und verschwand durch die Tür.
Lange Zeit, nachdem Anna sich entfernt hatte, starrte Brigitta blicklos auf das Büchlein in ihrem Schoß, das sich allmählich mit dem Schweiß ihrer Fingerkuppen vollsog. In weiches Ziegenleder gebunden, war es gerade so dick wie eine kräftige Scheibe Brot und kaum größer als ihre beiden aneinandergelegten Handflächen. Wenngleich Furcht und Widerwille in ihr gärten, schlug sie es nach einer scheinbaren Ewigkeit vorsichtig auf und betrachtete die überaus bildlichen Darstellungen des Ehegemaches.
Kapitel 11
Ulm, Anfang Juni 1368
»Was soll das?«, knurrte Ortwin den reich gekleideten Geldverleiher an, der ihn zu sich in sein Kontor gebeten hatte. »Ihr habt das Wort Ulrich von Ensingens für meine Kreditwürdigkeit!« Mit vor Empörung geblähten Nasenflügeln starrte er auf das mit einem fetten, roten Siegel versehene Dokument hinab, auf dem der sorgsam manikürte Finger des Geldverleihers ruhte. Neben dem durch mehrfache Unterstreichung hervorgehobenen Betrag prangte bereits die Unterschrift des blässlichen Mannes, den Ortwin am liebsten erdrosselt hätte.
»Für wie einfältig haltet Ihr mich?«, fragte sein Gegenüber gelassen und zog die rostroten Brauen in die Höhe, was ihm das trügerische Aussehen eines verdutzten Kindes verlieh. »Hattet Ihr etwa im Ernst gedacht, die Gerüchte würden vor meiner Tür haltmachen? Inzwischen weiß doch die ganze Stadt, dass
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