Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Grundzins und Kopfsteuer gehen direkt an die Mönche. Im Zentrum des Dorfes befinden sich die Höfe«, belehrte er die Frauen, die ihr gesamtes bisheriges Leben in der Stadt verbracht hatten. »Das Ackerland ist in Gewanne – große Feldblöcke – aufgeteilt, die in kleinere Parzellen untergliedert sind. Jeder Bauer darf eine oder mehrere Parzellen in jedem Block bewirtschaften. Je nachdem, wie reich oder arm er ist.« Er hob den Arm und wies auf ein weitläufiges Gehöft, das direkt am Fuße des Kirchberges lag. »Das ist der Hof meines Vaters. Anders als die meisten Bauern in Altheim ist er ein freier Bauer.« Als er das Unverständnis auf Brigittas Gesicht las, lachte er.
»Er ist kein Höriger, sondern hat als Meier genauso viele Rechte wie ein Bürger. Seine Aufgabe ist es, für die Mönche die Dorfbewohner zu beaufsichtigen, die Abgaben einzuziehen und die Gerichtsbarkeit auszuüben. Er ist so reich, dass meine Schwester mit dem Ritter Rudolf von Falkenstein verheiratet ist.«
Sie hatten die ersten, schäbigen Katen erreicht, hinter deren Fensterluken Kochfeuer flackerten. Einige der am weitesten vom Dorfkern entfernten Behausungen waren kaum mehr als Erhebungen aus Zweigen und Lehm.
»Das sind die Hütten der Häusler«, informierte Thomas seine Begleiterinnen, die einem zerlumpten Kind nachblickten, das in einer der strohgedeckten Behausungen verschwand. »Sie besitzen kein Land und verdienen sich ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner.« Er schlug ein Kreuz, als sie an einer Tür vorbeikamen, an der ein schwarzes Tuch hing. Allmählich näherten sie sich dem Dorfplatz, den eine weit ausgreifende Linde überschattete. Eine große Zahl der Häuser, die sie passierten, wirkte unbewohnt und heruntergekommen, und in vielen der schlampig umzäunten Gärten wuchs nichts als Brennnesseln, Disteln und Wildpflanzen.
»Merkwürdig«, murmelte Thomas, nachdem er eine Gruppe waidblau gekleideter Männer und Frauen mit Jäthaken und Hacken gegrüßt hatte. »Wo sind denn alle?«
Trotz des inzwischen nagenden Hungers blickte Brigitta sich neugierig um und lauschte auf das anschwellende Zirpen der Grillen. Der würzige Duft frisch gemähten Grases vermischte sich mit dem Geruch der Misthaufen, die sich vor jedem Gebäude erhoben. Je mehr sie sich ihrem Ziel näherten, desto mehr Menschen begegneten ihnen, und als Thomas schließlich das äußere Gatter der Meierhofumzäunung öffnete, kam ein vierschrötiger Mann aus einem der Wirtschaftsgebäude auf sie zugeeilt. Die drohenden Wolken auf seiner Stirn verzogen sich, als er in Rufweite war, und die zusammengekniffenen Augen weiteten sich im Erkennen.
»Thomas?«, fragte er ungläubig, und als der junge Mönch nickte, breitete er strahlend die Arme aus.
»Ruo!«, erwiderte Thomas und klopfte dem dunkelhaarigen Knecht mit dem wettergegerbten Gesicht herzlich auf den Rücken, der so breit war, dass sein Hemd an den Schultern spannte.
»Da wird dein Vater aber staunen«, bemerkte Ruo mit einem fragenden Blick auf Brigitta, Clementine und die Leprakleidung. »Er hat nichts davon erwähnt, dass er Gäste erwartet.«
Thomas errötete. »Er weiß auch nichts von unserem Besuch.«
Wenngleich der Ausdruck auf dem einfachen Gesicht des Bauern verriet, was er dachte, schluckte er die Worte, die ihm zweifellos auf der Zunge lagen, zwinkerte Thomas verschmitzt zu und zuckte die Achseln. »Dann bringe ich dich am besten zu ihm.« Er zögerte einen Augenblick, bevor er hinzusetzte: »Die Hüte und Stäbe solltet ihr vielleicht bei mir lassen. Und ich muss dich warnen. Nach dem Tod deiner Mutter hat sich Gisla rührend um ihn gekümmert.« Thomas zog fragend die Brauen in die Höhe. »Er hat sie diesen April zu seiner Frau gemacht.«
Wie vom Donner gerührt starrte Thomas von Ruo zum Haupthaus und zurück, bevor er sich so weit fasste, dass er eine Erwiderung stammeln konnte.
»Deine beiden Brüder haben es auch nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen«, erklärte Ruo und ließ ihnen mit einer Geste den Vortritt. »Aber so ist nun einmal der Lauf der Dinge.«
Vorbei an Ställen, Gattern für die im Frühjahr geworfenen Fohlen, Kälber und Lämmer, den flachen Wohnhäusern des Gesindes, einem Backhaus und einer Kelter gelangten sie schließlich ins Herz des Gehöftes, dessen Pracht Brigitta erstaunte. Stolz zeugten die verglasten Scheiben des zweistöckigen Fachwerkgebäudes von einem Wohlstand, der selbst den ihres Vaters übertraf.
Vor lauter Verblüffung vergaß sie ihre
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