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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Köpfe schüttelten.
    »Ihr hattet recht, Heinrich«, erzürnte sich einer der reichen Patrizier, dessen Barchentgewand mehr gekostet haben musste als Ortwins gesamter Jahreslohn betrug. »Es ist der Wille des Herrn, dass diesem Frevel ein Ende bereitet wird!«
    Zustimmendes Gemurmel verriet, dass die Furcht vor der immer weiter um sich greifenden Seuche die Gemüter inzwischen empfänglich gemacht hatte für solches Geschwätz.
    »Aber dieser Schaden stammt eindeutig von Menschenhand«, wagte der Kreuzwinkelmeister, dessen Figuren ebenfalls das Missfallen des Bauverwalters erregt hatten, zu widersprechen.
    Von Husens Kopf schoss vor wie der eines Adlers, der auf sein Opfer hinabstößt. Gestenreich überschüttete er den Bildhauer mit einer Tirade bigotter Plattitüden, in die bald einige der Ratsmitglieder mit einstimmten.
    Als ginge ihn das Gekeife nichts an, wandte Ulrich von Ensingen sich nach kurzer Zeit ab und schlenderte in Richtung Bauhütte davon. Ortwin, den das Benehmen des Werkmeisters nicht wenig befremdete, eilte an seine Seite und brummte verächtlich: »Diese Idioten!«
    Ein schiefes Lächeln stahl sich auf Ulrichs Gesicht, und er machte unter einem Strebepfeiler halt, um Ortwin beinahe heiter den Arm zu tätscheln. »Das sind sie in der Tat«, bemerkte er scheinbar gelassen und strich seinen wollenen Tabbard glatt.
    »Dieser Schwachkopf von Arn«, grollte Ortwin mit einem Blick auf von Husens Schwager, »ist doch schon mit dem Anfertigen einer Ritzzeichnung überfordert! Wie soll der denn den Bau leiten?!«
    Ulrich zuckte mit den Achseln und setzte seinen Weg fort. »Wenn der Rat der Meinung ist, dass er der bessere Mann für diesen Posten ist, dann ist die Sache für mich entschieden.« Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter. »Ich werde nach Mailand gehen, Ortwin. Sobald die Quarantäne aufgehoben ist, werde ich mit meiner Familie aufbrechen.« Ein Schatten der Sorge vertrieb für den Bruchteil eines Augenblicks seine gute Stimmung. Doch dann fasste er sich und fügte hoffnungsvoll hinzu: »Vielleicht ist es wirklich ein Zeichen Gottes.«
    »Nach Mailand?« Ortwins Brauen hoben sich fragend.
    »Ja«, versetzte Ulrich ruhig. »Ich habe beschlossen zuzusagen.« Mit einer ausgreifenden Geste umriss er den Münsterplatz. »Du siehst doch, wie die Dinge sich hier entwickeln. Nicht nur sterben uns immer mehr Handwerker weg«, seine Miene verdüsterte sich, »man wird mir auch nach Ablauf der Frist nicht gestatten, die Arbeit am Turm fortzusetzen. Dazu hat Heinrich viel zu viel Einfluss gewonnen.« Er hob die Hand, um seine Augen vor der Sonne zu schützen, während er kritisch den Fortschritt des Daches begutachtete, für das aufgrund der Pest nur noch ein halbes Dutzend Zimmerleute zur Verfügung stand. Deutlich war selbst von hier unten zu erkennen, dass die zum Teil blutjungen Handwerker der mächtigen Konstruktion nicht gewachsen waren.
    Kopfschüttelnd wandte Ulrich den Blick zurück zu Ortwin. »Nun schau nicht so belämmert drein«, setzte er hinzu, als er den verdutzten Gesichtsausdruck seines zukünftigen Schwiegersohnes bemerkte. »Du kannst gerne mit mir kommen. Als Teil der Familie und Parlier.«
    Um ein Haar hätte Ortwin sich verschluckt. Hatte er richtig gehört? Ulrich von Ensingen wollte ihn zu seinem Stellvertreter machen? Um Worte verlegen, fuhr er sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und rang um eine Antwort, doch der Werkmeister kam ihm zuvor. Er lachte spöttisch. »Du siehst aus wie ein Ochs, wenn es donnert«, bemerkte er, doch eine Bewegung aus dem Augenwinkel wischte erneut alle Heiterkeit aus seinen Zügen. Polternd rumpelte ein bereits halb beladener Leichenkarren an seinem von Wachen flankierten Haus vorbei, und Ortwin spürte deutlich, wie sich der Werkmeister versteifte. Ein tiefes Ausatmen verriet seine Erleichterung, als der Wagen ohne zu halten weiterholperte und in Richtung Judenhof verschwand. Einen Moment lang wirkte es, als habe Ulrich vergessen, wo er sich befand, doch dann straffte er die Schultern und klopfte auf die Tasche, die er stets bei sich trug. »Ohne dieses Musterbuch kann niemand den Bau weiterführen, ohne das gesamte Turmfundament abzureißen und neu auszulegen.« Lediglich ein leichtes Beben in seiner Stimme verriet, dass er sich noch nicht wieder ganz gefasst hatte. »Was bedeutet, dass diese Narren von vorn anfangen müssen.« Damit legte er Ortwin zum Abschied leicht die Hand auf den Arm und steuerte auf eine Gruppe Steinmetze zu,

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