Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Beklommenheit und folgte Thomas und Clementine neugierig in die von einigen Öllampen erhellte Stube, wo drei Gestalten um einen kostbar verzierten Holztisch saßen. Zwei ebenfalls hölzerne Trennwände teilten den Raum in Arbeits- und Essbereich, und aus der benachbarten Küche strömte das köstliche Aroma gebratenen Fleisches. Der beinahe kahle, rotwangige Herr des Hauses, dessen beringte Hand gerade einen silbernen Kelch abstellte, hob beim Eintreten der Besucher behäbig den Kopf, den er jedoch gleich darauf wieder über die dampfende Hasenkeule auf seinem Teller senkte. Schmatzend kaute er das zarte Fleisch, während er die drei vollkommen ignorierte. Die ihm gegenübersitzende Frau war fett und vollbusig, und trotz der teuren Kleidung war ihre einfache Herkunft deutlich zu erkennen. Aus kleinen Äuglein musterte sie Bruder Thomas, der ihren Blick mit hoch erhobenem Haupt erwiderte. Das magere, etwa zehnjährige Mädchen, das mit niedergeschlagenen Augen in seinem Essen stocherte, musste Thomas’ jüngste Schwester sein, da ihr blondes Haar den gleichen Honigton aufwies wie das ihres Bruders. Eine scheinbare Ewigkeit verstrich schweigend, bevor sich der Hausherr endlich den Mund am Ärmel seines Rockes abwischte und sich mit geschürzten Lippen zu seinen Gästen umwandte. »Nachrichten reisen manchmal schneller als der Blitz«, dröhnte er, und Brigitta wich instinktiv einen Schritt zurück, als er sich erhob und auf sie zutrat. Er war so groß, dass sein Kopf beinahe die Deckenbalken streifte, und seine Hände glichen Bodenbrettern.
Mit einer steilen Falte zwischen den buschigen Brauen baute er sich vor Thomas auf und funkelte ihn an. Als er die Rechte hob, zog sie erschrocken den Kopf zwischen die Schultern. Auch Thomas’ Rücken versteifte sich, doch anstatt seinen Sohn zu ohrfeigen, wie es den Anschein gehabt hatte, warf der Bauer den mächtigen Kopf in den Nacken und lachte brüllend. Zuerst erkannte Brigitta den Laut nicht als Lachen, da es als tiefes Grollen in der Brust des Riesen begann und erst allmählich den Weg über seine Lippen fand. Japsend und nach Luft ringend wischte sich der Hüne mit der einen Hand die Augen, während er die andere auf Thomas’ Schulter niedersausen ließ, sodass der junge Mann in die Knie ging.
»Und ich dachte, aus dir wird nie ein Mann!«, dröhnte er und schob seinen Sohn und dessen Begleiterinnen unzeremoniös auf den Tisch zu. Mit einer Kopfbewegung wies er die aus der Küche herbeigeeilte Magd an, drei weitere Schemel heranzuziehen und knallte eigenhändig Trinkbecher auf die Platte. »Hat die Rute zwischen deinen Beinen endlich Knospen getrieben?!«, donnerte er und erneut schüttelte ihn ein Heiterkeitsanfall. »Ich habe nie verstanden«, prustete er, »warum deine Mutter darauf bestanden hat, dich ins Kloster zu schicken! Wo doch das Leben in Freiheit so viel mehr zu bieten hat.«
Den Schock der Damen ignorierend, griff er nach einem ordentlichen Brocken Fleisch und ließ ihn auf Thomas’ Teller platschen. »Bei solch einer Köstlichkeit könnte ich auch nicht Nein sagen«, brummte er zweideutig und zwinkerte Clementine anzüglich zu.
»Woher weißt du, dass wir …?« Der vollkommen verdatterte Mönch ließ den Satz unvollendet, während er hungrig auf den Leckerbissen vor sich starrte.
»Ha!«, stieß sein Vater aus und spießte ein Stück Ferkelbraten mit seinem Messer auf. »Ich habe meine Ohren überall.« Er kaute genüsslich und spülte den Bissen mit einem Schluck Wein hinab. Als er sah, dass sein Sohn nicht begriff, schüttelte er den Kopf. »Der Markt, mein Junge, der Markt.«
Scheu zog Brigitta ihr eigenes Messer aus dem Beutel an ihrem Gürtel und schnitt ein Stückchen von der dicken Bratenscheibe ab, die die Magd ihr inzwischen vorgelegt hatte. Wie hungrig sie war!
»Bist du denn nicht böse?«, fragte Thomas, und erst als sie die Unsicherheit in seiner Stimme bemerkte, wurde Brigitta klar, wie gut er seine Furcht und Sorge vor ihr und Clementine verborgen hatte. »Schließlich kann ich jetzt nicht mehr jeden Tag für dich beten.«
Der Bauer winkte verächtlich ab. »Das war ohnehin die Idee deiner Mutter. Ich habe mich mein ganzes Leben auf Tüchtigkeit und harte Arbeit verlassen. Wie sagt ihr in eurem Kloster? Bete und arbeite?«
»Ora et labora«, murmelte Thomas, doch sein Vater fuhr heiter fort: »Ich finde, du hast genug gebetet. Es wird Zeit, dass du ein wenig arbeitest.«
Überrascht von der Gottlosigkeit dieser Rede
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